Simba Day
05.09-10.09 - Ein erstes Kopfkino durch Worte der Beschreibung
Mwanangu Special Waldorf School - Vikindu
Guuuten Morgen! Ich hoffe du konntest länger schlafen, als es mir zuteil wurde. Allerdings ist der Ort an dem wir uns im Moment befinden, beinahe jede Schlaflosigkeit wert. Mit dem Ort meine ich nicht den altbekannten Vorbau in dem ich auf der braunen Holzcouch sitze, sondern das Gelände der Schule und die Gegend in Vikundu um uns herum - eine Gegend etwa eine Stunde außerhalb von der tansanischen Großstadt Dar es Salaam - die unsere Aufmerksamkeit in ihren Bann ziehen. Unsere Unterbringung hatte ich schon im letzten Kapitel angeschnitten, aber hier noch eine etwas konkretere Ausführung. Dieser Vorbau mit den Fensteröffnung plus Gitter ohne Scheiben, die ringsumher die obere Hälfte der Wand ausmachen, dem staubigen und gerissenen roten Boden und anthrazitgrauen Wänden, ist durch zwei Türen mit dem Innern des Hauses verbunden. Es ist keine Doppeltür die meinen Blick versperrt, sondern eine eiserne Gittertür die nach außen hin aufschwingt und eine weißgerahmte Holztür aus Spannbrettern die nach innen geöffnet werden kann. Beide im selben Türrahmen untergebracht. Jene macht ein lautes Quietschgeräusch beim Einrasten, was einem spät Abends beim Hereinkommen ein wenig leid tun kann für die beiden Mitbewohner. Einmal meine freiwillig arbeitende bessere Hälfe, welche mich am Sonntag mit zu unserem eigentlichen Zuhause begleiten wird, und unser Mann vor Ort, der auch in Mwanza arbeitet, aber zeitgleich einen Besuch hier abhielt und sich entschied mit uns zusammen dort hin zu reisen. Er ist unser Mentor, unsere Ansprechperson, unser Freund. Mit ihm durfte ich zweimal in der Zeit in Deutschland über elektrische Leitungen kommunizieren und auch er machte mich nicht weniger aufgeregt auf was kommen würde. Eine süße Seele, die sich da in mein Leben verirrt hat. Dasselbe zählt selbstverständlich für meine Mitfreiwillige, ihr Name ist Loana, die ich schon auf unserem geteilten Seminar in der Nähe von Frankfurt kennen lernen durfte. Beides sind Menschen mit denen ich gespannt bin ein gemeinsames Jahr zu gestalten.
Der erste innere Raum ist jener, der alle Restlichen verbindet. In ihm befindet sich eine kleine Küchenanrichte, allerdings ohne fließend Wasser aus dem dennoch existenten Wasserhahn. Wir haben meinen Raum als erstes auf der Rechten und in dem Gang, der sich links von ihm erstreckt, befindet sich die Toilette auf der gegenüber liegenden Seite. Das Zimmer der zweiten Freiwilligen ist nach meinen Zimmer rechts und unser Mentor wohnt ganz am Ende des Gangs.
Unsere Toilette ist ein kleiner Raum mit dem Waschbecken nahe der Toilette, sodass man sich nach dem Klogang das Aufstehen beinahe sparen und sich beim Vorbeugen die Zähne ausschlagen könnte. Zwischen hier und dort gibt es keine Abgrenzung von der Dusche zum Rest des Raums. Der Duschkopf macht einen Job, aber keinen guten, und so wird man mit der Zeit zwar nass, aber der Wasserschwall ist doch sehr einsehbar. Verhalten, möchte man sagen. Mit meinen inzwischen durch minimalistisches Reisen erweiterten Fähigkeiten, was Bedürfnisse angeht, gab es trotzdem einen eher großen Schock. Für den Klogang zählt im Generellen folgendes: Sitztoiletten aus Plastik oder gar Porzellan sind eher eine Seltenheit. Klopapier ist sogar etwas nicht Existierendes. Es gibt kein Klopapier… ahh, jetzt müsste ich darlegen wie ich über die Tage komme. Zu eurem Glück ist meine Überbrückungslösung was das Kopfkino im Rahmen. Ich habe in meinem Gepäck - ebenfalls der Rucksack mit dem ich durch Norwegen und von Spanien bis nach Deutschland unterwegs war - noch eine Notfallreserve Toilettenpapier. Die anderen Freiwilligen haben sich Klopapier aus Restaurants geklaut... aber wie kommt der Rest der Nation klar? Wir kriegen es noch raus. Mein Rucksack war zwar beinahe zur Gänze geleert, aber in der Tasche am Kopfteil fand ich noch einen Einmal-Rasierer und ungefähr 30 eingerollte Klopapiere. Diese benutze ich äußerst sparsam, was vielleicht noch der größte Fehler bei der ganzen Sache sein könnte und anschließend gehe ich meist duschen. Ich hab Hygiene zu wenig wertgeschätzt, als ich sie noch in Fülle hatte. Hier muss man selbst auf seine Hygiene achten und das schien doch ein Leichteres zuhause gewesen zu sein. Zwar sind die Menschen vor Ort dadurch nicht dauerhaft krank, aber ihre Gesundheit wird von diesem, als auch unzählig anderen Umständen erheblich beeinflusst. Einfaches Beispiel: zuhause in Deutschland konnte ich mich entscheiden, welche Lebensmittel ich kaufe und wie ich mich ernähre. Wie die Meisten von uns bin ich auch oft genug im Supermarkt gewesen, der ja schon bodenlos genug ist, und die dortige Industriediversität erschien mir oft genug schon als nachteiliger Lebensumstand… aber es muss festgehalten werden welcher Unterschied besteht, wenn man sich aus welchen persönlichen Gründen auch immer (wenn sie nicht in Verbindung mit Geld stehen) dazu entscheidet sich minderwertig zu ernähren, versus den Umstand in dem es nur eine ganz begrenzte Auswahl an Verkostung gibt und eine Diversität, vor allem von Gemüsen, beinahe völlig fehlt. Und dann kommt der Aspekt der Kosten dazu und schon ist jemand vor Ort in einer noch nachteiligeren Situation. Eine Auswirkung dessen soll mir in ein paar Tagen begegnen. Die Behinderungen der Kinder mit denen ich arbeiten werde, sind größtenteils auf falsche und mangelhaft gesunde Ernährung, während und vor allem vor der Schwangerschaft zurückzuführen. Ein Vitaminmangel und ein wenig Unglück später und dein kommendes Kind hat eine erhöhte Wahrscheinlichkeit auf einen Wasserkopf oder eine gespaltene Wirbelsäule.
Was fehlende Diversität betrifft: hieran gewöhnt sich ein Mensch. Aber da es um Gesundheit und nicht um Gewöhnung ging, spielt das eh keine Rolle. Die Kinder, die an der Schule unterkommen, essen jeden Tag zu jeder Zeit dasselbe. Gesundheit wäre doch was Schönes, oder nicht? Für mich selbst hoffe ich, dass mein schlecht trainiertes Immunsystem einen guten Job macht, wenn es um Speichel und Husten von Kindern geht oder um das barfuß durch die Straßen wandern.
Genug von Badezimmern und nun über zu meiner eigenen Räumlichkeit, in der der Koffer noch aufgeklappt und nur teils ausgeräumt liegt und seine Schätze Preis gibt. Ein paar täglich genutzte Kleidungsstücke hängen über dem linken Bett, einem Doppelbett, bei dem nur noch das untere Geschoss in Gänze existiert. Über seinem Gerüst hängt mein Gewand. Dieses liebste Stück Stoff ist seit seinem Besitz mein geliebter Poncho. Ein wundervolles Geschenk zweier Wesen. Erster Hand des Zufalls, zweiter Hand des inspirierenden Beets - einem Freund, den ich auf Vancouver Island im Geiste und manchmal in Person beiwohnen durfte. Jener musste das Meiste seiner Kleidungsstücke loswerden, als er abreiste um in ein buddhistisches Kloster in Oregon, USA zu ziehen und somit landeten viele seiner Sachen auf dem Flohmarkt, der monatlich intern in unserer Kommune im kanadischen Inselwald Vancouver Island's abgehalten wurde. Seitdem wich der Poncho, welcher laut Beet aus Mexiko stammt, nicht mehr von meiner Seite. Er wird nach all seinen Möglichkeiten verwendet und ist nicht nur das Handtuch beim Umziehen am Strand, um ungesehen zu bleiben, sondern auch die einzige Decke für die Nacht die mir grade zur Verfügung steht. Neben meinem Poncho hängt meine eingerissene, hellblaue, zu weite Jeans mit dem Gürtel noch in den Schlaufen installiert und eine dunkelgrau gestreifte Boxershorts schon in der Hose, bereit angezogen zu werden. Mein lila Strickpulli, ebenfalls aus Kanada, war mir bisher von wenig Nutzen, weil… hmm, muss ich das mit der Hitze noch erklären?
Mein Zelt ist durch sein biegsames Metallgestänge am Boden aufgespannt und steht als dünner Halbkreis ohne weitere Befestigung am Boden. Damit sie nicht umkippt, ist im Innern an einer Seite meine Musikbox so hingestellt, dass sie für das Gleichgewicht des Zeltes sorgt. Die Box, ihr werdet es nicht glauben, kommt ebenfalls aus Kanada. Natürlich auch von meinem ponchoschenkendem Beet. Sie wiegt sechs Kilo und nimmt ein Drittel meines Kofferraumes ein. Kofferraum, ha! Ihr Gewicht und ihre Größe standen mir nie im Weg mich dafür zu entscheiden sie an Orte mitzunehmen. Von Kanada nach Deutschland und nun nach Tansania, auf dass sie uns noch viele schöne Abende mit Musik und Tanz beschert. Für jetzt ist sie die Säule meines Unterschlupfes. Das Zelt ist ganz praktisch, da die beiden Betten auf seiner linken und rechten Seite zu klein sind für meinen 1.85 Körper. Da ich aber sowieso schon seit beinahe eineinhalb Jahren auf Böden schlafe, hätte der Umstand kein geringerer Sein können. Der Boden meines Zeltes ist zwar nicht weich, aber zumindest nicht kalt, und das beste an dem Zelt ist, dass es als erste Schicht ein Mosquito-Netz besitzt, ohne welches ich hier mehr oder weniger am Ende wäre. Die Mücken sind schneller, schlauer und verursachen größere Schwellungen. Über Malaria könnte man sich auch Gedanken machen und viele andere Freiwilligen nehmen auch Prophylaxen, aber nach einem kurzen Blick auf deren Preise konnte ich beruhigt davon absehen. Außerdem lebt die Bevölkerung vor Ort auch ohne, oder etwa nicht? Auf meinem Schrank stapeln sich die mitgenommenen Bücher und meine eigenen Notizbücher, welche ich brauchen werde, um beim Bloggen verschiedene Phasen meines Lebens und die Erfahrungen in ihnen richtig aufarbeiten zu können. Die drei Bücher die mich begleiten sind: Der Briefwechsel zwischen Caroline und Wilhelm von Humboldt - ein Buch über die größten Erzählungen des 20. Jahrhunderts und über ihre Schriftsteller - und ein dicker Schinken mit dem spannenden Titel ‘Bildung’… das Ding von dem ich in der Schule zu wenig mitnahm und seither verzweifelt in der Welt suchte. Ein wahrhaft phänomenaler Papierbatzen.
So viel vorerst über die Unterbringung unserer Partnereinsatzstelle in der Nähe von Dar es Salaam, was so viel bedeutet wie ‘Peace Upon a Few’. Eine Woche sollte dieses kleine Häuschen nun unsere Unterkunft sein. Über die Welt um das Häuschen herum, mit ihrer Natur, den Menschlein und Momenten, findet ihr in den folgenden Einträgen.
Hier findest du nochmal die Übersicht aller Kapitel