Calpe und Denia treiben uns die Beinchen in die Bäuche (22.05.)
Unsere aller längste Wanderschaft und unser erster Starkregen - ein Versteck im leeren Gebäude und unser magischer Bareintritt am Abend

Neun Stunden Fußmarsch werden mit Starkregen belohnt, aber zumindest schließt man neue Freundschaften im verlassenen Haus unserer Wahl.
22.05.2025, 47 Kilometer sind Beschreibung genug - Denia’s Sandstrand
Unser ambitionierter Tag startete sehr langsam und gemächlich mit einem Frühstück aus Avocado, Brot, Zitrone und Orange, Karotten und einer Birne. Wir saßen in dem schönen Waldstück, eine bisherige Seltenheit, aber abseits der Küste wohl doch keine Unmöglichkeit. Wir hatten noch oft über Diego, den jungen Mann des gestrigen Abends zu schwärmen und packten anschließend unsere Sachen, um in Richtung Denia zu laufen. Als wir los gingen schoss uns die irrsinnige Zahl 42 als Ziel unseres heutigen Marsches durch den Kopf, da wir wussten sehr viel Autobahn vor uns zu haben und diese so schnell wie möglich hinter uns lassen zu wollen. Am Ende wurden es knapp über 47 Kilometer des Laufens. Der Weg war der Seitenstreifen auf der Schnellstraße, in seinem Ausmaß nicht vergleichbar mit dem aus Deutschland, sondern lediglich ein Meter breiter Pfad den wir uns mit Unmengen an Rennradfahrern teilen durften, die den schönen Asphalt der durch die Berge führenden Straßen zu ihren Strecken auserkoren hatten. Wir passierten auf dem Weg schöne Felder aus Olivenbäumen und Orangenheine, wir sahen Kakteen und Dattelpalmen, Oleander und Jadepflanzen. In einer Zivilisation angekommen, betraten wir ein unglaublich eingerichtetes Gebäude für Innenarchitektur und Möbel, mit den schönsten Ideen für Spiegelrahmen, Bettgestelle, Schnitzereien in Größen bis hin zu originalen Tierkörpern wie Ochsen und Löwen. Als wir die Angestellte nach einer Wasserspende fragten, trat ein deutscher Mann an unsere Seite und drückte uns entschlossen den nächsten 20 Euro Schein in die Hand. Mal wieder kam jeder Einspruch umsonst und wir mussten ihn annehmen, dem Verständnis wieso so etwas passiert noch weit entfernt. Mit kühlem Wasser, welches die Dame hinter dem Empfang extra für uns holte, ging es dann also weiter und in der Straße die außerhalb des Ortes führte, fanden wir den ersten von noch vielen kommenden Geschäften. Ein Porzelan- und Keramikladen mit einer Vielzahl von Tellern, Statuen und Brunnen, die in großer Vielzahl zur Schau gestellt wurden. Am Anfang bewunderten wir noch die Schönheiten des Geschirrs, aber mussten uns bald eingestehen, dass bei der Menge dieser Läden in jedem kleinsten Ort eine Art Ort für Geldwäsche vorliegen muss, wie es bei vielen Kebab-Läden in Berlin auch der Fall sein dürfte, so Martin. Wir machten eine Mittagspause im Schatten eines Nadelbaumes mitten in der Gegend in der Berge aus Sandstein, Kalkstein und Dolomiten abgetragen werden und wahnsinnige Gebilde der Reste aus Bergen zurück ließen. Das restliche Brot wurde zusammen mit dem Olivenöl, dass wir von Zeit zu Zeit von Restaurants erfragt hatten, aufgegessen und dazu hatten wir noch unser erstes richtig gutes Pesto. Unsere Erdnussbutter wurde auch beständig weniger und spätestens ab hier darf gesagt werden, dass bitte niemand diese Art von Ernährung übernehmen sollte... alles trieft hier vor sich hin!
20 Kilometer nach einem zufälligen Kreisverkehr überprüfe ich unsere Strecke mit der Kartenapp meines mobilen Endfunkgerätes und musste feststellen falsch abgebogen zu sein. So befanden wir uns auf der unangenehmen Mitte der Optionen entweder an der Küste entlang zu laufen, was am schönsten gewesen wäre, aber am längsten, oder der schnellsten und kürzesten Route mit einer graden Linie durch die Berge. Wir waren stattdessen in der Mitte dieser beiden Möglichkeiten und hatten einen verlängerten Bogen durch die Berge vor und hinter uns. Da es zu spät war sich zu beschweren, genossen wir stattdessen einfach den unglaublichen Ausblick in rötliche Berghöhen, in faszinierende Höhlengebilde und in die verlassenen Höfe mitten hier im nirgendwo. Bereut haben wir am Weg wenig und als wir an einem Café vorbei kamen, gönnten wir uns als Belohnung sogar ein Schokoladeneis und eine Packung Milch. Zweiteres können wir uns echt nicht erklären, eigentlich trinken wir nie Milch, aber in dem Moment packte es uns einfach. Unsere Hirne schienen unter der Sonneneinstrahlung zu mutieren und so hatten wir den Einfall unsere Schuhe zu tauschen, als wir das Café verließen, in der Hoffnung, dass die Abwechslung unserer beider Probleme lösen könnte. Die Probleme haben den Namen Blasen. Bevor ich jetzt anfange zu schwärmen, muss ich einfach neutral loswerden, dass diese Exemplare wirklich besonders in ihrer Dimension und Vielschichtigkeit zu sein.Die darauf entstehende Pein möchte hier gar nicht erst erwähnt werden, und so fanden wir uns wenige Minuten darauf wieder auf altbekannten Sohlen. Wir durchquerten kleinste Dörfer und blickten betrübt in zerrissene Gewächshäuser und abblätternde Fassaden. Wirklich überzeugt waren wir nicht grade von dem Landleben Spaniens und die Hitze machte auch keinen Aspekt erträglicher. Wir liefen und liefen also wie schon den restlichen Tag, inzwischen kamen wir an die Grenze der acht Stunden als die Sonne sich endlich zu setzen begann. Wir zogen uns zum beschleunigen an der Metallreling der Autobahn entlang und untersuchten den zugemüllten Straßenrand nach Dingen mit Nützlichkeit. Ich benutzte mein Handy auf sinnvolle Weise und schaffte es mal jemanden anzurufen. Die Wahl fiel auf meine liebste Freundin Linnéa. Als wir dann zu unserer Ausfahrt für die Nacht stießen, bogen wir ab und trafen das erste Mal auf die Art von Wald, die uns noch unzählige Kilometer begleiten würde. Ein dichtes Gewächs aus einer Art Zwischenform von Bambus und Schilf. Fünf Meter hoch, fester Stamm und undurchdringlich. So dachten wir jeden falls bevor wir das laute Rascheln im Gebüsch nur wenige Meter von uns entfernt hörten. Wir wichen zurück und ich deutete Martin sein Messer nur so zum Spaß schon mal in der Hand zu halten. Das Tier, dass sich da grade durch den Bambus wälzte machte eine Menge Krach und schien sich nicht an der Härte des Gestrüpps zu stören. Es schien uns zu bemerken, blieb für eine Weile stehen und verschwand dann rennend, aber ohne ein Geräusch zu machen, das auf sein Sein hingewiesen hätte. Da wir schon Wildschweine getroffen hatten, hofften wir auf so etwas…
Wir waren 2 Kilometer abseits der Stadt Denia gelandet und trafen auf ein Autokino. Wir sprachen die Menschen an in der Hoffnung einen schönen Ort zum schlafen erfahren zu können und in der Hoffnung ein billiges Filmprogramm für den Abend erhaschen zu können, aber bis auf kühles Wasser und den Tipp am Strand zu schlafen, konnten sie nicht mehr für uns machen. Hätten wir gewusst wie schön der Strand sein würde, hätten wir auch nie auf mehr hoffen können. So setzten wir uns und unsere breiten Hüften und wunden Füße im wackelnden Marsch in Bewegung in Richtung Strand um dort im Dunkeln die Schuhe loszuwerden, zum Wasser zu laufen und uns abzukühlen und dann noch eine Weile am Strand auf und ab zu spazieren. Ein herrlicher Spaß. Das schönste war die Idee beim zurück laufen zu unseren Rucksäcken, schnell wirbelnd über den Strand zu rennen, sich also zu drehen so schnell es ging und dabei zu versuchen in eine Richtung zu taumeln oder zu rennen. Das hatte ich damals mit meiner Freundin Mia in Kanada an einem wundervollen Strand an der Westküste der Insel von Vancouver Island herausgefunden und seitdem nicht mehr gemacht. Dasselbe jetzt mit Martin zu tun erfüllte mich mit kindlichster Freude. Erschöpft und glücklich aber mit der Sorge um Regen, fanden Martin und ich eine Art Höhle aus dichten Ästen nahe des Strandes. Eine Art Unterschlupf die vermutlich von Kindern oder anderen Strandbesuchern gebaut wurde und perfekt für unser Zelt reichte. Es hätte morgens um neun Uhr anfangen sollen zu regen und wäre das der Fall gewesen, dann hätte ich auch keine Probleme mit dem draußen schlafen bekommen. Es sollte alles ein klein wenig anders kommen, aber um das herauszufinden, hatte ich noch eine verkürzte Nacht Zeit. Und so schliefen Martin und ich nach unzähligen Kilometern des Wanderns am schönen Strand Denia’s ein - er im Zelt und ich direkt daneben mit den Füßen im Sand in der Hoffnung die frische Luft würde die Blasen heilen lassen. Ein wundervoller Tag!
Eine Sache möchte aber noch Erwähnung finden. Es wäre unfair euch in dem Glauben zu lassen, wir würden eine solche Strecke laufen und am Ende des Tages einfach froh darüber sein alles geschafft zu haben... Nein nein nein! Das Wichtigste und Schlimmste hab ich einfach weggelassen. Und zwar durfte Martin über diese 9 Stunden des Laufens unentwegt anhören, wie schlecht es mir ginge, wie mein Kopf vor Hitze qualmt, dass die Schuhe der letzte Dreck wären, oder meine Tasche viel zu schwer und zusätzlich zu schlecht gebaut wäre, aber genauso dass unser Vorhaben alles nur Quatsch wäre und wir doch niemals ankommen. Das alles gab ich permanent von mir und Martin zu bedenken, welcher selbst sich kein einziges Mal beschwerte und immer nur geduldig und nie genervt zuhörte. Insofern möchte ich den Fokus von unserer Errungenschaft der gelaufenen Distanz nehmen und stattdessen wild fuchtelnd auf Martin deuten und euch still schweigend durch geschriebenes Wort schreiend kund tun, dass jener junge Mann der einzige Grund ist, dafür dass uns ein solches Unterfangen glücken konnte. So, ein kleines bisschen Martin-Werbung wäre auch geschafft... für mehr bezahlt er mich nicht gut genug!
Die Leistung die wir heute erbrachten, wird uns noch viele Wochen begleiten und einen großen Teil unseres körperlichen Selbstbewusstseins ausmachen. In keiner Welt hätten wir erwartet einen Akt wie jenen performen zu können. Wir gingen an unsere absolute körperliche Grenze und wurden nur durch unseren Zusammenhalt weitergetragen. Allein hätte keiner von uns auch nur die Hälfte dieser Distanz laufen können. Wenn mir in der Zukunft die Zahlen 47.171 Schritte und 46,5 Kilometer durch den Kopf hallen und ich dabei an die Hitze, an die Schwere der Rucksäcke, an das begrenzte Wasser, an die Berge der Autobahn und die mehrschichtigen Landschaften aus Blasen an unseren Füßen denke, die wir seit Tag eins mit uns führen, dann kann ich es oft nicht für wahr halten. Bis heute ist mir ein Rätsel wie wir in solchen Zuständen jeden Morgen wieder auf die Beine kamen und ähnliche Distanzen Tag für Tag zurück legten und keinen Tag Pause machten. Weder zwischen Alicante und Valencia, noch auf Ibiza oder auf dem Weg nach Madrid… phenomenal, aber bald mehr davon.
Gute Nacht!
23.05.2025 Starkregen und ein schönes leeres Haus - Zwei Obdachlose laufen in eine Bar
Ich dachte mit meinem iPhone Wecker ‘Chalet’ hätte ich den besten Weg wach zu werden für mich entdeckt. Es stellt sich heraus, dass der Beginn leichten Regens einen beinahe aus der Waagerechten direkt ins Stehen geleitet. So war es für mich um 6 Uhr morgens mit der Nacht vorbei als genau jenes Phänomen einzusetzen begann und ich verzweifelnd ‘Ma, Marttt.. Martiiiin!!!’ stotternd an der Außenseite des Zeltes zu kratzen anfing, um ihn dazu zu bewegen mich reinzulassen, während ich verzweifelt alles Hab und Gut an meiner Seite zusammen pferchte und das Zelt damit auszustopfen versuchte ohne meinen Weggefährten größere Schäden als nötig zuzufügen. Als jener Akt vollendet schien und nur noch mein mit Poncho verzierter Hintern auf dem immer nasser werdenden Sand saß, hieß es nun in das beinahe völlig volle Zelt selbst noch einzudringen. Man muss sich das wie eine umgekehrte Geburt vorstellen und der Rest gehört eurem Kopfkino. Die Endposition war jene des gekrümmten Schneidersitzes im Fußraum Martins, mit Telefon in der Hand und drei Stunden des Tagebuch Schreibens vor mir. Auch total ok. Wäre da nicht dieses erstickende Attribut zu unserem Zelt durch fehlende Lüftungskanäle. Aber beschwert hab ich mich genug, zumindest war man trocken. Und sandig. Und müde... aber halt auch in Spanien und mit nem Freund und am Strand und jung und voller Freude für Erlebnisse. Also hielt sich alles die Waage und die Zeit verging schnell. Mit Martin in einem Zustand der dem des Wachseins gleich, begann unser Tag dann auch ganz langsam und wir nutzten die Regenpause für das einzig logische. Ein Bad im Meer. Die Wellen hatten auch ein paar Surfer angeschwemmt und so hatten wir unseren Spaß ihren Größen geschuldet, und versuchten durch tauchen und springen immer tiefer in die nasse Materie vorzudringen. Mit der Ambition des Body-Surfens kraulten wir dann zurück Richtung Strand, um mit den anrollenden Wellen zu beschleunigen und mit angespanntem, ganz graden Köper ein Surfboard zu imitieren. Hätte das geklappt würdet ihr hier noch ein paar Sätze finden, die über den Effekt schwärmen würden und wie es sich genau anfühlt, da es aber eher ein Ertrinken war, beende ich den Exkurs an dieser Stelle. Zurück im ‘Trockenen’ hatten wir super sandige Füße und große große Lust weiter zu wandern. Mit dem Wissen, dass wir circa ein Drittel des Weges hinter uns hatten, waren unsere hormongesteuerten Stimmungen natürlich auf Anschlag und hätten nicht mehr der Ekstase gleichen können. Und so waren wir wieder auf dem Weg. Grade mal am Ende der ersten Straße erreichten wir einen Straßenstand der uns Obst andrehte und so waren wir in Kürze zwei Euros ärmer aber drei Avocados reicher. Der Term ist witzlos, denn hätten wir gewusst wie ungenießbar unreif die Dinger waren, hätte keiner den Mut hier von einem Gewinn auf unserer Seite zu reden. Naja. Die Autobahn führte nach rechts, und wir hatten nichts besseres zu tun also rannten wir ihr wie getriebene, von der Wahrheit getriebene, hinterher. Für 50 Meter. Dann fing der Regen wieder an... dieser stellte uns das erste mal ehrlich auf die Probe und so zauberte ich einen bis dahin ungenutzten Gurt hervor und einen super coolen Plastik Poncho, aus echtem Plastik, und war im Nu in eine gigantische Einkaufstüte eingehüllt. Kein Regentropfen hätte sich auch nur in die Nähe überhalb meiner Knie gewagt. Leider waren dafür Hosenbeine und Schuhe völlig durchnässt und selbst Martin, der mit Regenjacke und tatsächlichem Müllbeutel den er zweimal eingeschnitten hatte um ihm über den Rucksack zu zwängen, war kein bisschen besser dran als ich. Wir liefen keinen Kilometer bevor uns klar wurde, dass das nichts werden würde, und so saßen wir kurzerhand auf einem netten kleinen Privatgrundstück und versuchten zu klingeln. Niemand war zu haben und so setzten wir uns auf die geschützte Veranda und lauschten dem Starkregen. Und den Geräuschen unserer Münder als jene Mandeln und Großteile unserer Erdnüsse knackten. Tatsächlich kam die Nachbarin des Gebäudes vorbei und schien trotz ihres Mitleides begeistert von uns zu sein. Und so beschenkte sie uns mit zuckersüßem Kinderkaffee, wofür wir nicht dankbarer hätten sein können. Früher oder später mussten wir aber doch gehen, und in dieser Erzählung soll es so klingen als hätten wir das freiwillig getan, anstatt wegen den Blicken der inzwischen angekommenen Besitzerin des Hauses. Unser Glück war es, dass es für einen kleinen Zeitraum tatsächlich beinahe stoppte zu regnen und so konnten wir drei Kilometer schaffen bevor wir wieder durchtränkt wurden. Zu unserem wie immer unschlagbaren Glück geschah das genau neben einem Garagentor. Und dann passierte was uns manchmal mit den richtigen Leuten passiert. Manchmal weiß man einfach wen man ansprechen muss um eine geniale Unterhaltung zu haben, man weiß wer diese eine perfekte Person für den Moment ist und findet die Überwindung für die eigenen Worte und eine soziale Interaktion, die ansonsten nicht und niemals stattgefunden hätte. In unserem Fall waren wir aber in einer völlig menschenlosen Gegend und so kam es, dass wir statt die richtige Person anzusprechen, einfach mit Glück das richtige Garagentor öffneten und uns direkt in einem riesigen verlassenen Gebäude wieder fanden mit einer Art Vorgarten. Das mag übertrieben sein, denn das Wort Garten kam nur in meinen Sinn, weil dieser halbüberdachte Bereich von Unmengen an Gestrüpp, Hecken und diverser Flora überwältigt zu werden drohte. Laut quietschend schloss sich die Tür hinter uns und ein paar Schwalben verließen das Haus durch die fensterlosen Wände des zweiten Stockes. Büsche füllten das kleine Areal in dem wir standen und zogen sich wie feine Adern überall an den Wänden entlang. Die Tür war ausgehebelt und bot Einblick in die nicht zu steigernde Dunkelheit. Das einzige Licht, dass die ganze Gegend in warmes goldenes Schimmern tauchte, waren die zwei strahlenden Gesichter unserer beiden Crackheads, die sich sicher waren eine Art Paradies entdeckt zu haben. Wir stellten unsere Rucksäcke auf zwei morsch gerosteten Hockern aus Holz und Metall ab und tauchten dann in die Welt des Hauses ein. Man könnte sagen, dass es nicht gruselig war, aber vielleicht würden wir es auch nur behaupten, weil wir zwei Tage zuvor von einem Wildschwein in die Gegend voller Baracken geführt worden sind, in denen alte einsame Damen wohnten, und durch welche Straßen völlig Irre streiften und Menschen anbrüllten. Insofern war dieses Haus total ok.

Überall standen Schnappsflaschen, in jedem Raum an die fünfzig Stück. Viel Gin, noch mehr Billigvodka und am meisten Jameson und Jack Daniels. Außerdem hatte jemand versucht zu renovieren, vermutlich aber mit dem entsprechenden Promille, und so fehlten große Teile der Decke und die Gipskartonplatten hingen in Fetzen hinunter. Genauso war alles was früher einmal Möbelstück war, nun ein aus Holzsplittern bestehender Haufen. Toiletten hatten riesige Keramikbrocken in sich und es lag sogar Kinderspielzeug herum. Puppen mit toten Augen, wobei lebende Augen noch viel schlimmer gewesen wären; alte verstaubte Kassetten und ein Schrank der seinen Inhalt gänzlich verloren hatte und über den Boden verstreute. Das waren alles alte Dokumente und Papiere. Als kleine Erinnerung packte ich mir ein Schwarz-Weiß-Bild das am Boden lag als Erinnerung ein. Darauf war eine hübsche blonde Frau mit gewelltem längeren Haar und kleiner Stubsnase und leicht schiefen Zähnen. Hübsch. Im zweiten Stock waren jede Menge Schwalbennester und da wir genug zu essen bei uns hatten, interessierten wir uns nicht weiter dafür. Zurück bei unseren Rucksäcken und ausgerüstet mit einem Stuhl aus dem inneren des Hauses, machten wir es uns gemütlich im Schutz der Überdachung und begannen entweder zu schreiben oder zu lesen. Ich schaffte einiges an Einträgen, aber mein Akku versagte nach einer Weile und die Powerbank sollte lieber noch nicht geleert werden. Martin quälte sich durch ein gutes und kurzes Buch, der Name ist und war ‘Das Perfüm’ und es handelt nach seiner Beschreibung von einem kleinen Jungen, der vor zweihundert Jahren in Paris geboren wurde, ich meine die Geburt passierte in einem Fischladen, und das besondere an ihm war, dass er keinen Körpergeruch an sich hatte. In einer Zeit in der alles nach Tod und Verwesung stank, hatte dieser Junge überhaupt keinen Duft. Allerdings konnte er unfassbar gut riechen und so beschrieb Martin es so, als würde der Junge an einer Wand riechen und dann sagen können aus was sie bestehe und welche Personen sie schon berührt hätten und wie lange das her sei. Der Verlauf der Geschichte besteht daraus, dass er eines Tages einen Geruch wahrnimmt, schöner und kräftiger als alles andere zuvor. Er ist entzückt und verzaubert und besessen. Er muss ihn finden und er muss ihn besitzen. Es stellt sich raus, dass der Geruch von einem kleinen rothaarigen Mädchen kommt und in der Hilflosigkeit und Impulsivität des Jungen, erwürgt er sie auf die Schnelle, weil... ne, den Part hab ich nicht verstanden. Danach arbeitete er sein Leben lang in einer Perfümfabrik und versucht jenen Geruch zu rekreieren. Das Ende hat Martin noch nicht gelesen, aber mich hat er mit der Beschreibung auf jeden Fall gecatcht...
Wir warten Stunden für Stunde und essen ab und zu etwas. Der Seetang macht mir große Schmerzen und Martin untersucht mein Zahnfleisch um eine nicht grade kleine Entzündung mit Eiterblase hinten links am Zahnfleisch zu entdecken. Das ist natürlich doof. Und hätte ich ein bisschen mehr Ahnung gehabt, hätte ich sofort einen Doktor aufgesucht, aber ich hatte das noch nie und deswegen erstellte ich die Diagnose, dass alles ok sein würde, wenn ich ne Weile weniger essen würde und das Ding aufsteche. Boah, also Kinder. Damit wir auch was lernen... so was macht man natürlich nicht und wenn man schon nicht Mama schreibt, um das abzuklären, dann fragt man zumindest die allmächtige KI ob sie einem nicht weiter helfen könnte. Auf die Idee würde ich erst in circa einer Woche kommen, aber ich nehme mal vorweg, dass alles gut gelaufen ist und ich mal wieder viel zu viel Glück gehabt habe. Aber eine gute Lehre für die Zukunft und hoffentlich auch für euch. Schmerz untersucht man sorgfältig und nimmt ihn nicht auf die leichte Schulter. Inzwischen war es spät und wir wollten weiter. Davor verbrachte ich noch 18 Minuten in der Warteschlange meiner Fluggesellschaft, weil ich bemerkte einen taktischen Fehler in der Planung begangen zu haben, aber ich erreichte niemand und gab auf. Wir machten uns also mal wieder auf den Weg und trafen auf der Höhe von Oliva endlich auf die Ausfahrt, welche uns von der langen Strecke der Autobahn erlösen sollte. Wir zelebrierten das Ganze mit Tänzen und vielem Winken an die vorbeifahrenden Autos und gingen dann Richtung Oliva. Zuvor hatte Martin die fabelhafte Idee geäußert mit Pappschild am Straßenrand zu stehen und durch Schrift den Fahrern mitzuteilen, dass einmal Hupen einem Liegestütz für die Person am Boden bedeutete. Martin würde also mit einem Schild Autos angrinsen und ich würde daneben im Stütz verharren und zur Bespannung der Welt mein Leiden tragen… hätte Martin grade nichts vorgehabt und mehr Energie an sich, oder eben ein Pappschild, dann hätte ihn wenig auf der Welt davon abbringen können, vor allem nicht ich. Er wirkte zu fröhlich, als er diesen Gedanken aussprach und ich könnte ihm ja nicht das Herz brechen und ihm so etwas ausreden…
Ein paar Orangenplantagen später trafen wir auf Margareta! Margareta war cooler und schöner und schlauer als wir alle, weil Margareta ist ein Esel. Und Esel sind suuuupa! Sie lebte hinter einem doofen Zaun zwischen doofen Orangenbäumen und neben netten Katzen mit kantigen Gesichtern. Sie war super zutraulich und wünschte uns viel Glück auf unserer Reise. Außerdem schenkte sie mir die Inspiration mit einem Esel durch Europa zu laufen. So ein Tier kann das Gepäck ohne Schwierigkeiten tragen, kann an jeder Wiese weiden und von jedem Bach trinken. Und hab ich schon gesagt, dass Esel total cool sind? Also ging ich gesegnet mit der Erinnerung an Margareta und mit dem Traum bis nach China zu laufen mit einem Esel an der Seite weiter und Martin folge mir. Er folgt mir immer und ich frag mich manchmal ob er nichts besseres zu tun hat. Vielleicht sollte ich ihn mal drauf ansprechen. Wir kommen in die nächste Stadt und lästern über Tesla bis wir in einen riesigen Supermarkt eintauchen. Die Schränke gehen bis zur viel zu hohen Decke und die Auswahl an Olivenbüchsen oder Tuna hätte nicht größer sein können. Genau dasselbe gilt für die Wassersorten und so kauften Martin und ich aus unserer Verwirrung heraus viel von dem was wir nicht brauchen würden, aber waren froh statt mit leeren Rucksäcken jetzt wieder mit prall gefüllten umher zu wandern. Ich war sehr gespannt auf die Oliven. Der Abend sollte jetzt erst richtig anfangen, aber das wussten wir noch nicht. Wir ahnten es auch nicht, als wir zu zweit in eine Bar gingen, und dabei beginnt jede gute Geschichte mit: zwei wie Obdachlose aussehende Backpacker aus Deutschland gehen in eine Bar in der Nähe von Oliva... wir hätten es ahnen sollen. Und die Barkeeperin hätte mich rausschmeissen sollen, als sie diesen Fußgestank das erste Mal wahrnahm, anstatt uns für ein paar Stunden zu verkraften.
Wir saßen also in einer ländlichen Bar und ich war barfuß. Die Socken lagen draußen zum Lüften, die Schuhe standen unter dem Tisch. Für meine Taten werde ich wieder geboren als Regenwurm. Wir befüllten unsere Blasen mit billigem Kaffee (Die anderen Blasen) und machten Pläne wie wir die ganze Nacht durchlaufen würden. Nix da! Ich versuchte die Powerbank aufzuladen und danach wollte ich meine Mama anrufen, um eine große Entscheidung besser treffen zu können. Ich erkläre kurz meine Lebenssituation.
Als wir an einem russisch orthodoxen Kloster angekommen waren, las ich die Nachricht meines Chefs, dass er gekündigt hätte. Mit einem Mal löste sich meine ganze Welt vor meinen Augen auf und alles schien in dem Moment möglich. Ich hätte mich sofort in die Welt und das super spontane Reisen stürzen wollen, realisierte aber mit der Zeit, dass wir die Grundlage fehlt, um eine finanziell sichere Lage errichten zu können. Ich dachte zu der Zeit, dass meine Arbeit zuhause nicht mehr existieren würde. Ich dachte zu der Zeit man bräuchte zumindest ein bisschen Geld um zu überleben. Ich dachte, ich dachte… Ausserdem steht ab September ein zweites Freiwilliges Soziales Jahr an, diesmal nicht auf Vancouver Island in Kanada, sondern in Tansania in der Nähe des Victoria Lake’s. Auf einmal war ich mir nicht mehr sicher ob ich das wollte. Wieder fern von zuhause, aber immer noch gefangen an einem Ort. Ich dachte ich müsste sofort hinaus in die Welt und von einem zum nächsten Ort springen und zum Glück kam mit der Zeit die Vernunft zurück und ich realisierte, dass die Zeit in Tansania genau jene sein kann, die ich brauche um mir durch das Schreiben in Blog-Form ein kleines Einkommen aufbauen zu können, um ein wenig besser zu planen und noch ein Jahr mehr freiwillige Arbeit erleben könnte. An diesem Abend in der Bar wollte ich meiner Mama nur sagen, dass trotz der gekommenen Zweifel meine Entscheidung fest stünde und ich unbedingt nach Tansania gehen wollte. Die Kosten für so ein Jahr beliefen sich 2025 auf 4000 Euro an die ausreichende Organisation der Freunde Waldorf. Jene übernehmen die Flugkosten, jene zahlen meine ganzjährige Versicherung, jene Sorgen dafür, dass ich vor Ort täglich genährt werde und kostenlos lebe und zusätzlich noch ein Taschengeld bekomme. In Kanada waren das 250 Can Dollar, circa 170 Eur0o und in Tansania werden es 100 Euro plus das wundervolle Kindergeld. So lebt man als freiwillige Arbeitskraft bei solchen Projekten beinahe reich. - Also zurück zu diesem Abend.
Martin und ich zogen die Blicke vieler Einheimischer auf uns und zum dritten Mal fanden wir uns in der komischen Situation einer Geldspende. Eine Dame mit kleiner Tochter kam zu uns und drückte und zwei Scheine in die Hand mit freundlichsten Worten, die ich nicht verstehen konnte. Errötend und zutiefst gerührt bedanken Martin und ich uns wie immer, sind aber immer noch nicht in der Lage dieses Verhalten von Menschen zu fassen. Diese Mutter hatte ein kleines Kind und ihr Mann stand grade vor einem Spielautomat weiter hinten in der Bar. Wer sind wir, dass wir von jener Person unterstützt werden? Unsere Vorstellung machte das Ganze beinahe zur Pein.
Der nächste Besucher an unserem Tisch hatte kein Geld bei sich, dafür aber einen mächtigen Alkoholpegel und reichlich wenig Englisch. Aber von aufgeben war keine Spur. Dieser Mann erzählte uns Geschichten, die noch in keinem Buch zu finden waren und wild artikulierend erzählte er uns von einer Feier im Nebenort Piles. Piles? Das klang lustig und wir waren interessiert, bis zu dem Moment an dem er uns sehr überzeugt anbot, uns schnell rüber in die Stadt zu fahren. Martin hatte ich Chance sein Spanisch auszuprobieren, musste aber schnell feststellen, dass er normales Spanisch und kein besoffenes sprach und seine Worte somit keinen Nutzen für unseren neuen Freund an sich hielten. Ich verständigte mich mit Gesten und Pantomime und konnte mit den Worten ‘cinque’ (italienisch für fünf) und ‘Nino’, meine Interpretation des Wortes Kind und meiner herrlich akkuraten Nachahmung eines austretenden Pferdes, diesem Fremden erzählen was denn die Narbe unter meinem linken Auge zu bedeuten hätte, nachdem er verwirrt gestikulierend darauf gedeutet hatte. Der Austausch war ein fantastischer und wurde danach nur urkomischer. Ich konnte einfach nicht aufhören zu lachen und seine verzweifelten Versuche sich verständlich zu machen, konnten dem Ganzen nicht helfen. Mit der vereinten Kraft aller Anwesenden und der Barkeeperin überredeten wir den guten Mann das freundliche Angebot der Fahrt in den Nachbarort stecken zu lassen und bevor dieser rasend werden konnte, eilten Martin und ich schnell in die Richtung, die uns gezeigt wurde, nämlich nach Piles. Uiuiui… ohlolo.
Woher die Feuerwerke kamen und was der dröhnende Hall auf sich hatte, klärt sich im nächsten Kapitel. Wir haben was zu tanzen und zu trinken... und mir werden Schuhe geschenkt. Wir stellen uns nach einem freundschaftlichen Ringkampf die Frage: sollten wir beide uns für eine Nacht aufteilen? Warum das der größte Fehler der gesamten Reise sein wird, liest du am besten selbst in:
Mit Schall und Rauch durch einsame Nächte