Ein Lächeln für den Schmerz

Ein Lächeln für den Schmerz

25.05.2025 Kusshand, Tiefpunkt und Vorfreude - eine Nacht mit springenden Fischen

So kurz vor unserem Ziel schien es nicht mehr weiterzugehen. Zwei Nächte mit jeweils drei Stunden Schlaf und 73,5 Kilometer in den letzten 48 Stunden. Die letzte Nacht lief ich sieben Stunden bis fünf Uhr morgens, und das ohne meinen Martin, da wir uns am Vorabend in Gandia aufgeteilt hatten - unser absolut größter Fehler bisher. Dass trotz des Durchlittenen der letzten acht Tage, die alle ähnlich schmerzhaft und ereignisreich aufgebaut waren, heute wieder 30 Kilometer folgen sollten, konnte noch nicht ganz in meinem Kopf zu Realität werden, obwohl mein sehr realer Martin mit den Plan durchaus überzeugend und nachvollziehbar auslegte... anscheinend muss seine Nacht anders verlaufen sein.
Ob wir es nun schaffen würden, bis zum südlichen See Valencia's, dem Albufera de València, zu kommen, bevor es Nacht wird und wie viele Kilometer mich Martin davon tragen müsste, stand in den Sternen. Vorest klingelte mein Wecker um 9 Uhr und ich wachte alleine unter einer Palme ohne meinen Martin an der Costa Blanca in Cullera auf. Ob wir in diesem Kapitel noch nach Valencia kommen? Innerhalb von acht Tagen von Alicante aus? 280 Kilometer? Les gerne nach und begleite uns wie immer aus unseren Rucksäcken heraus als Gast unserer Worte und deren Geschichten.

Als ich jenen Morgen kochend vor Sonneneinstrahlung meine Augen aufmachte, die Decke um mich geschlungen - um keinen Sonnenbrand zu bekommen, dadurch aber gleichzeitig zu ewigem Schweiß verbannt - spürte ich mich so kaputt als hätte ich ein langes Leben hinter mir. Alles war zu hell, die Leute die in Mengen an mir vorbei strömten, um zum Strand zu kommen, kamen mir gar nicht echt vor, und der Gedanke an weiteres Laufen brachte mich an den absoluten Tiefpunkt. Schritt für Schritt quälte ich mich barfuß durch den Sand zum Wasserspender, um meine Füße auszuwaschen und drückte damit den Sand tiefer in meine geöffneten Blasen am Fußballen. Mit Martin's gutem Opinel, dass er mir mit den Worten 'Du wirst es mehr brauchen!' am Vorabend übergeben hatte, versuchte ich das meiste an Sand aus den Landschaften aus aufgeplatzten Blasen zu entfernen ohne dabei noch größere Schäden entstehen zu lassen. Mit meinem kleinen, aber feinen Erste-Hilfe-Täschchen, dass bisher echtes Gold wert war, reinigte ich die Wunde an beiden Fußsohlen und arbeitete mit Kompressen, um das ganze angenehmer zu gestalten. Das half dem Komfort ein wenig, aber vor allem der von mir gewünschten Sauberkeit. Als alles zusammen gepackt ist, schleife ich mich die letzte Distanz zum Café Velvet, wo Martin hoffentlich sitzt und warten wird. Ich kaufe eine Paprika und meine geliebten, eingelegten Kichererbsen auf dem Weg und esse sie auf einem türkisen Stuhl sitzend und mit Blick auf die gefüllte Straße. Der Stuhl gehörte zu einem Café und stand an dessen Hauswand an der benannten Straße. Der Besitzer erblickte mich und gab mir nicht nur eine Serviette und ein Stück Brot, sondern auch die Erlaubnis dort sitzen zu bleiben. Ich durfte den einzigen Gästen, einer süßen spanischen Familie beim Essen zusehen, welches sie unter diesem besonderen und angenehm Schatten spendenden Baum einnahmen. Mir fehlen die Mittel um folgenden entsprechend zu beschreiben, deswegen zur Ausnahme hier ein Foto:

Google sagt Cork-Oak... es ist definitiv keine Korkeiche, aber trotzdem ein schöner Baum!

Meine Hoffnung auf eine geöffnete Apotheke, die auf dem Weg liegen würde,  musste ich aufgeben, da die einzige in Reichweite geschlossen war und um keinen Umweg zu machen, den ich meinen Füßen wirklich unter keinen Umstände zugetraut hätte. Ich könnte euch auch noch unnötig mit Details nerven, wie unfassbar schwer und schmerzhaft jedes Auftreten war, wie die Riemen meines Billigrucksackes an allen Ecken und Enden meine Schultern penetrierte, wie meine Haut von der Sonne kochte und wie meine Trinkflache unglücklich weit weg von mir platziert war; aber das bringt uns auch nicht weiter. Ich könnte das Leiden nicht in genug Worte fassen, um es euch gebührend erleben zu lassen und vorstellen können es sich eh nur jene, die unter ähnlichen Schmerzen gelitten haben müssen. Ich würde es mit einem unbehandelten, gerissenen Band oder einem stark beschädigten Meniskus vergleichen wollen, ohne zu übertreiben. Da merkt ihr mal was subjektive Wahrnehmung mit einer Beschreibung macht. Ich halte aber an einer Sache fest. Schmerz hin oder her: egal welcher Grad von Schmerzempfindung, wer so lange einem permanenten Suboptimalzustand ausgesetzt ist und täglich it der Tätigkeit konfrontiert wird, welche jene Empfindung in die falsche Richtung drängt, was in unserem Falle des Fußschmerzes eben das Laufen darstellt, der hat einen Anspruch darauf sich bei seinem später dazu kommendem Laufkameraden auszulassen und viele Tage später seine Tastatur spüren zu lassen, was man da aushalten durfte. Nicht schön, aber jetzt weiter im Prozedere... Wo ist eigentlich Martin? Und wie geht es ihm?

Nach beinahe eine Stunde schaffte ich es in das besagte Café zu gelangen. Die Distanz war ein wenig mehr als ein Kilometer und ja, das bedeutet ich war sehr langsam unterwegs. Und trotz allem kam ich fünf Minuten zu früh, auf was ich reichlich stolz hätte sine können, aber stattdessen war mir nach Heulen, als ich meinen Freund und schon ewig vermissten Gefährten Martin da so sitzen sah. Breitbeinig über sein Notizbuch gehängt, verfasste er vermutlich Weltbewegendes. Sein Tanktop roch wahrscheinlich besser als meins und sein verdammt cooler Cowboy-Hut spendete ihm selbst in diesem schwach erleuchteten Milieu eines Cafés noch Schatten. Sein Gegrinse als er mich sah, beschreibe ich hier nicht, dafür fehlt mir die Ruhe und die Zeit. Ihr ging's anscheinend blendend.

Falls ihr euch so schlecht erinnert wie ich: Das letzte über was Martin und ich sprachen war das Ringen zwischen uns, welches wir im Rahmen eines kleinen Duells auf einem kleinen Spielplatz austrugen, in der Nähe von Piles. Die Stadt mit ihrem Stadtfest, der Musik und den bombengleichen Knallern. Seine lange Denkpause schien in der Sekunde des Aufteilens zum Ende gekommen zu sein und ich hatte die Frechheit besessen ihn zu unterbrechen. Das war das letzte was ich von ihm gehört und gesehen hatte und ich hatte mir wirklich vorgenommen ihn anzustrahlen, mich zu entschuldigen und zu erklären, was das alles für eine doofe Idee gewesen wäre und direkt in die zuvor angehaltene Konversation einzusteigen. Ich selbst hätte nicht geschockter sein können, über wie sehr mir die Kraft dazu fehlte auch nur im Ansatz zu lächeln. Einmal mehr brach ich beinahe zusammen, als ich neben Martin, der dort ruhig in seinem Notizbuch schreibend saß und lächelte, Platz nahm und ihn nur aus verzweifelten Augen anschaute. Er war sichtlich erschrocken über meinen Zustand und nach einer Weile kamen auch wieder Worte aus meinem Hals, als wir uns austauschten über das Erlebte. Martin beweist wieder einmal der schlauere Mensch zu sein und berichtet die ersten 15 Kilometer am ersten Tag gelaufen zu sein und dann gruseliger Weise in den nicht endenden Feldern aus Schilf gecampt zu haben, um am nächsten Morgen den Rest zu laufen. Er meint, das hätte super funktioniert und war ehrlich angenehm. Er scheint ok zu sein und ich bin sehr froh für ihn und noch froher darüber wieder bei ihm zu sein. Bei der ganzen Angst die ich mir um ihn gemacht hatte, finde ich diesen einfachen Verlauf seiner Geschichte beinahe unfair... aber was soll ich machen? Ihm ab jetzt den Weg zur Hölle zu machen mit meinem Geheule? Möglich.
Vor dem Café ist die Straße überfüllt und mit Musik geschmückt. Ein Mittelalterfest ist in vollem Gange und eine Menge an Geschäften die Fleisch, Gebäckstücke, Süßigkeiten und Souvenirs verkaufen, machen sich zwischen den Restaurants breit. Wir versuchen kleine Versuchsproben zu ergattern, aber ich muss die gesamte Zeit überlegen, wie ich Martin dazu überzeuge irgendwo in einen Schatten zu spazieren und den Tag mit Schlummern zu verbringen. Erklär das mal jemandem der völlig ausgeschlafen ist.
Martin findet ein aufgestelltes Schachbrett und läd mich auf eine Partie ein. Dazu muss gesagt werden, dass mein kurzhaariger Freund hier mit seinem netten Gesicht ein anstrebender Schachlehrer ist und sich auf Turniere im August vorbereitet. Ich selbst hab schon mal Schach gespielt. In der Grundschule. Und mein Papa wurde zu nem Schachfan nach der Serie ‘The Queens Gambit’ und zu der Zeit hatte ich auch nochmal ein paar Runden gespielt, ihm zu Liebe. Die Partie artete hochspannend in unglaubliche fünf Minuten aus, bevor ich fataler Weise den König mit einem Bauer verwechselte und in ein gemeines Schachmatt stolperte. Aber Martin musste schwitzen, um mich dahin zu bringen. Vielleicht waren es auch die 33 Grad; steigend... Eigentlich hätte er keine Chance gehabt, aber meine Füße taten so weh. Und ich wollte die Nacht wieder wett machen... danach schaute ich Martin ernst an und wir tauschten ein paar noch ernstere Worte, da ich mir in Anbetracht des Leidens, welches in meinem Körper und meiner Wahrnehmung dessen gefangen schien, nicht in der Lage fühlte überhaupt noch einen Schritt zu tätigen. Ich konnte mir nicht ausmalen auch nur noch einen Kilometer zu laufen und wollte nur noch liegen und vielleicht weinen. Ich erinnere mich nicht mehr wie, aber irgendwie muss Martin es geschafft haben, mich dazu zu bringen, trotzdem erstmal los zu laufen. Das Ziel war der 27 Kilometer entfernte See. Natürlich ein absoluter Witz diese Distanz in Anbetracht der Situation. Ich denke, dass wir beide nicht im Traum daran dachten. Vielleicht denkt Martin auch gar nicht. Ich müsste ihn mal drauf ansprechen. Wie gesagt, keine Ahnung wie, aber wir machten unsere ersten Schritte und das nicht ohne mein Feedback. Nur das Anhalten blieb aus.
Kaum waren wir auf der Autobahn angekommen, gesellten sich riesige, sehr flache flache Felder dazu, die allesamt unter 20 Zentimeter Wasser lagen und die sich bis zum Horizont zu strecken schienen. Circa 30 Kilometer entfernt, also direkt am Horizont erschien uns dort zum allerersten mal ein Anblick, der tatsächlich etwas Positives in sich hielt und unsere Reise absehbar erscheinen ließ. Valencia.
In meinem Kopf drehte sich alles nur um den Schmerz in meinen Füßen, aber auch über die Verwunderung, dass ich noch laufen konnte. Und dann kam der alles entscheidende Punkt der Wendung. Ein kleines Experiment, das den ganzen Tag retten sollte...

Ich lernte einst eine junge Frau kennen. Sagen wir, ihr Name wäre Kate gewesen. Stellen wir uns vor sie hätte zu der Zeit, in der ich in Kanada auf Vancouver Island gelebt hätte, auch auf der selben Farm mitten im Wald gelebt. Sagen wir, wir wären beide Part der selben Kommune gewesen. Dieser absolut fiktionale Charakter war neben seinen praktischen Fähigkeiten und seinem Beruf - sie war unsere Farmerin - eine durch und durch inspirierende Persönlichkeit. Von ihr ging eine mir bis dahin unbekannte Stärke aus und so schien sie mit einer unglaublichen Sicherheit durch das Leben zu schreiten. Man fühlte sich in ihrer Gegenwart geborgen und beschützt. Sie war für mich, wie für ihre Schafe, eine Hirtin, die einen nicht nur umsorgt, sondern auch auf wundersame Weise leitet.
Kate besaß zusätzlich eine Superkraft. Sobald man sie ansprach und sie sich zu dir wandte, begannen ihre Mundwinkel sich zu heben und sie lächelte dich breit und warm an. Unmöglich hätte man sich wohler fühlen können. Das schien einfach ihr Ding zu sein. Es dauerte Monate für meinen unbehelligten Geist hinter diese äußere Fassade zu blicken und nach einem ersten Feedback von ihr, welches oft lautete 'Hey. Ya I'm alright, how're you?', nochmal nachzufragen, ob denn wirklich alles oke wäre, oder die Frage anders zu formulieren und sich stattdessen zu erkundigen, wie ihr Herz denn mit der aktuellen Situation umginge... vieles habe ich verpasst, vieles konnte ich erleben und noch mehr durfte ich lernen.
In meinem Moment in Spanien erinnerte ich mich nicht nur an eine großartige Person, sondern auch an das, was mir und ihr so oft Kraft gespendet hatte.

Ich lächelte... und als ich damit anfing, hatte ich auch nicht mehr das Bedürfnis damit aufzuhören, denn es war beinahe berauschend zu bemerken, dass trotz aller Umstände ein Lächeln aus mir heraus kommen konnte. Ich wollte beinahe laut loslachen und ich tat genau das, weil es mir unmöglich schien die gesamte Reise so wenig gelacht und genossen zu haben, und erst jetzt in Anbetracht des absoluten Tiefpunktes alles aus mir herauszuschießen schien. Ich konnte es nicht fassen. Ich richtete mich auf und veränderte die Art wie ich auftrat. Der Schmerz blieb, aber ich konnte einfach darüber hinweg grinsen und schwebte in Gedanken ein paar Zentimeter über dem Boden. Vorbeifahrende Autofahrer hatten ihrerseits eine große Freude und viel mehr als gewöhnlich winkten und hupten sie uns zu, was mich noch mehr zu beflügeln schien. Und so kam es, dass Martin und ich Kilometer nach Kilometer liefen und liefen und einfach nicht aufhörten. Einmal machten wir eine halbstündige Mittagspause im Schatten eines großen Feigenbaumes, wofür wir einen kleinen Bach überqueren mussten, um dann an dessen Verlauf und im Schatten Platz nehmen zu können. Der Wrap gefüllt mit eingeweichten Haferflocken, Oliven, Erdnussbutter und Kichererbsen, schmeckte heute besonders gut und das Knoblauchbrot von Martin zusammen mit dem Pesto war die Kirsche auf unserer Torte.

An jeder Pause die wir machten, rollte ich sofort die Iso-Matte aus, um mich darauf auszubreiten und zu schlafen. Das klappte manchmal und manchmal war es auch einfach das Essen vom Boden aus, was schöner war als im Stehen. Ich lag unter Bäumen, neben Feldern, an Straßenseiten und schlussendlich auch neben einem Laden am Parkplatz im Schatten, wo ich beinahe eine Stunde lang zu Ruhe kommen konnte und sogar schlief. Wir hatten diese Abendpause gemacht, um auf das Verschwinden der Sonne zu warten und nach dieser Ruhe war ich in einer Hochstimmung. Martin hatte grade sein Buch ‘Das Perfüm’ mit dem Jungen und dem guten Geruchssinn fertig gelesen bevor er es in die nächste Papiertonne klatschte mit den Worten ‘War gut!’ und dann eine Minute später einem vorbeifahrenden Auto mit hübscher junger Dame darin, eine Kusshand zu warf und ganz verzaubert war, als diese den Kuss aufnahm und zurück schickte. Strahlend lief er zur Straße, um dem Auto in die Ferne entweichend zuzuschauen und das entzückte Gesicht das er dann trug, war der Grund, dass es auch mir nicht hätte besser gehen können.
Auf einmal merkten wir, dass wir unfassbar nah davor waren, eine zuvor als unmöglich gedachte Aufgabe zu bewältigen. Wir waren so kurz davor die Reise, die uns durch so viele Höhen und Tiefen führte zu vollenden und in Valencia anzukommen. Noch eine Nacht im Freien und dann wären wir da. Wir konnten es echt nicht glauben und Stolz schien unsere Köpfe zu füllen als wir weiter liefen. An einem Obststand trafen wir einen netten Mann der bewunderte was wir taten und uns dafür mir Obst beschenkte. Wir beide nahmen eine Ochsentomate und genossen das viele Fruchtfleisch beim Weiterwandern. Als es stockdunkel wurde, kamen wir an den See südlich von Valencia, Kilometer tief in dem umliegenden Albufera-Wald versunken und entschieden uns für die falsche Richtung. Das zweite Mal auf dieser Reise. Der unnötige Weg den wir zurück legten, hätte uns nicht weniger stören können, denn unsere Gespräche waren auf Hochtouren und wir waren soeben in einen Exkurs über mein Leben in Kanada vertieft und ich versuchte ihm meine Sicht auf das Zusammenleben und Arbeiten mit behinderten Menschen näher zu bringen und ihn vertraut zu machen mit den unglaublichen Charakteren, mit denen ich ein Jahr lang mein dortiges Zuhause teilen durfte. Eine erfüllende Aufgabe und genauso erfüllend fühlte es sich an darüber zu sprechen.
Martin selbst hatte in einer Camphill-Kommune in Schottland sein FSJ verbracht. Sie hatte den Namen Aberdeen, wenn ich mich nichts ganz irre. Allerdings waren die Rahmen unserer Aufenthalte entscheidend unterschiedlich. Unterschiedlich entscheidend, aha... er war wie ein kleiner Student und Helfer Teil der Kommune und hatte so seinen Kontakt mit den Menschen erzeugt. Er lernte in vielen Stunden der Theorie über Anthroposophie, die Grundlegende Weltanschauung hinter der Camphill-Kommunenbewegung, und über die Arbeit mit den Menschen vor Ort. Meine Zeit in Kanada bestand leider aus keinen Theoriestunden, aber dafür aus dem Zusammenleben, dem sogenannten Life-Sharing mit Personen, die 'Developmental Disabilities' zu ihren Lastern zählen durften.
Hier ein ganz kleiner Auszug von ungefähr dem, was ich Martin wiedergab und dem was ich jeder Person darüber erzählen würde:
Auf der einen Seite ist es soziale Arbeit... das ist schon mal das coolste auf der Welt und die direkteste Art Menschen zu unterstützen und Hilfe anzubieten. Bei mir sah das so aus, in einem Haus aus zehn Personen zu hausen - eine vierköpfige Familie mit Kindern, deren Eltern zusammen mit mir die sogenannten Coworker darstellten - manchmal noch einer zusätzlichen Freiwilligen, allerdings nie für lange, ohne das meiner Präsenz unterstellen zu wollen - und das Wichtigste am Haus: unsere vier Gastgeber, genannt Companions. Jene teilten ihr Heim mit uns und den Kindern und wir konnten ihnen dafür helfen den Alltag zu bewältigen. Wir kochten, pflegten, organisierten, halfen bei der Medizineinnahme und gingen einkaufen. Wir unternahmen Ausflüge, machten Filmeabende und taten unser Bestes ein Zuhause für uns alle zu erschaffen. Meine beiden House-Parents, in diesem Fall tatsächlich Eltern von zwei jungen Kindern, versuchten schließlich genau das; eine Art zuhause für ihre Sprösslinge zu kreieren. Zugegebener weise bewältigten sie ihre Aufgabe so ausgesprochen gut, dass selbst ich mich wie in einer zweiten Familie angekommen fühlte.
Martin wollte ich auf den Weg geben, wie viel ich durch meine Companions über Wahrnehmung, Weltbilder, Religion, Persönlichkeit und Menschlichkeit lernte. Wie pur jeder dieser Menschen ihren Charakter ganz ohne Verkleidung teilte.Kein Schauspiel um Emotionen zu verstecken, keine bösen Lügen und allgemein ungemein viel Menschlichkeit. Ich lernte so unfassbar viel über mich selbst, indem ich jene dort kennen lernen durfte. Zur Zeit der Aufschrift habe ich es noch nicht geschafft, mein Ziel zu Bloggen ist ja bisher noch nicht mal real, aber ich habe vor eines Tages auch über die Zeit in Kanada zu schreiben. Ein so unglaubliches Jahr verdient es festgehalten zu werden und junge Menschen müssen mehr darauf aufmerksam gemacht werden, dass es noch andere Möglichkeiten gibt, als direkt nach der Schule zu studieren oder arbeiten zu gehen. Zudem ist freiwillige Arbeit der gesündeste Weg für sich selbst heraus zu finden, was man wirklich tun möchte und das ohne die hässlichen Nebenwirkungen, die eine Bezahlung oder Geld im allgemeinen sonst dazu beitragen würde. Ein FSJ ist ein wundervoller Rahmen für einen jungen Geist sich gesund und natürlich zu entfalten. Und ich verspreche, dass nicht alle Menschen nach einem FSJ anfangen, planlos durch Europa zu reisen. Andere finden auch ihr Studium. Aber zumindest kennt man sich selbst nach so einem Jahr besser und weiß eher darüber Bescheid was man möchte, doer manchmal noch viel wichtiger: was man eben nicht will.
Ich für meinen Part hatte danach keine Lust für Geld zu arbeiten und die Gesellschaft, so wie sie zu diesem Zeitpunkt ist, passte mir auch nicht. Deswegen wollte ich vorerst noch meine Welt besser kennen lernen, in die ich dort so unverhofft reingeboren wurden und anschließend meine Lebensenergie dem Aktivismus und der Veränderung im Rahmen meines Potenzials widmen.
Dieses Potenzial Gutes zu tun haben wir übrigens ALLE in uns. Man müsste sich nur dazu entscheiden, diesem auch nachzustreben. Du müsstest nur diesen Entschluss fassen. Allerdings heißt Streben auch immer Irren und um Goethe korrekt zu zitieren:

'Es irrt der Mensch, solang er strebt.'
-Goethe, aus dem 'Prolog im Himmel' - Faust

Malen wir uns also aus, dass das Leben ewiges Irren ist, dann sehen wir, dass Plan haben nicht Teil davon sein kann. Goethe möchte uns damit vermutlich mitteilen, dass solange wir uns verloren fühlen und solange wir nicht wissen wohin, das ein gutes Zeichen dafür ist, immer noch strebend zu sein. Immer noch auf der Suche nach dem Potenzial, in die Sterne greifend.
Wenn wir uns eines Tages zufrieden geben, unser Haus kaufen, Arbeit haben und Kinder kriegen, dann haben wir vielleicht ein kleines, sehr persönliches, um nicht egoistisches Ziel zu sagen, erreicht, und geben damit das Streben nach vollstem Potenzial auf. Ich hoffe für jene eine gute Erziehung parat zu haben und mehr Perspektive in die Zukunft vermitteln zu können, als die, mir der ihre Kinder dann aufzuwachsen haben...
Verzeih, jetzt bin ich ganz schön abgedriftet!

Als Martin und ich nach unserem kurzen Irrweg umkehrten und unsere Route wieder im Griff hatten, legten wir eine kurze Pause ein um ein Ei zu legen. Martin machte sowas nur in Notfällen. Ich allerdings hatte schon längst meinen Spaß daran gefunden in der Natur zu kacken. Das erste Mal hatte ich das bei einem drei Tage langem Hike in Kanada versuchen müssen, damals noch sehr verklemmt und ungern. Dann kam mein zweites Mal auf dem wundervollen Gebirge der Preikestolen in Norwegen, dasselbe Gebirge in dem ich auch auf die vier buddhistischen Mönche getroffen bin, bei denen ich später für vier Tage leben durfte und welche mir meine 30 Zentimeter Haarpracht auf die Kürze rasieren würden, die ich nun zur Show trug, und dasselbe Gebirge in dem der ‘Pulpit Rock’ aufzufinden ist, bei dem ich in jener Nacht zwei Meter entfernt von einer Klippe mit 400 Meter Abgang und Ausblick über einen unglaublichen Fjord, bei furchtbaren Winden campen würde. Genau auf dem Gebirge starrte ich in den Sonnenuntergang und legte dabei meine zweite Wurst. Vielleicht hatte ich mich damals in die natürliche Weise auf die Toilette zu gehen verliebt. Igitt igitt. Na egal, also auf jeden Fall machte es mir nun in Spanien nichts mehr aus zwischen lange Gräsern zu sitzen, die deine Oberbeine kitzeln und die Insekten zu hören, die allmählich in Scharen voller Vorfreude näher rückten. Vielleicht ist das auch keine Sache auf die man stolz sein müsste, nur waren Martin und ich beide überrascht, dass man anscheinend auch unter einer Minute aufs Klo gehen könnte und Klopapier gar nicht nötig wäre, wenn man so Eier legt, wie es die Natur vorgesehen hätte. Ghost. Shits, falls es dem ein oder anderen Experten unter euch ein Begriff ist, waren seit Spanien keine Seltenheit mehr für mich.
Spät abends, circa um elf, was nicht wirklich spät ist, wenn man mal so selbst reflektiert sein darf, kamen wir nach einem kurzen Waldstück an eine kleine Art künstliches Ufer vor einem Staudamm, umrundet von Natur und mit einem schönen Phänomen, nämlich Unmengen an Fischen jeder Grösse, die ununterbrochen aus dem Wasser sprangen, vermutlich in der Versuchung unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen oder Fliegen zu fangen. Mit wundervollem Blick über diesen Fluss, der ein wenig zu unserer Linken an einem Staudamm endete und dem schillernden Licht von Häuserblöcken einer Vorstadt Valencias und dem Mondschein, sahen wir diese Tagesreise als vollendet an. Zwar waren wir nicht an dem See angekommen, den wir anpeilten, sondern ein paar hundert Meter näher zu Valencia an dem dazu gehörigen Fluss, aber Raum für Beschwerden gab es keine. Ok, das benötigt Verbesserung... würden wir jetzt so tun als wäre Martin ob Lächeln hin oder her, verschont worden von meinen Beschwerden, würden wir einen schwerwiegenden Fehler begehen und seinen Part in der Rolle untergraben. Ohne meinen Hasilein, meine Schneggi, den Süßmopps mit Rucksack auf, dem Frauenheld und Philosophenhirn, kurz Martin M., wäre diese Reise völlig in die Hose gegangen. Ich wäre verdurstet, vor langer Weile gestorben, hätte gefroren und würde Martin jetzt immer noch nicht besser kennen. Sein Beitrag zu der ganzen Geschichte ist also essenziell und elementar. Kein Spanien ohne ihn hier. Martin! Geile Sau, du! Bevor wir im Schleim ausrutschen, weiter im Prozedere... wollen schließlich auch alle ins Bett.
Martin und ich sind uns einig. Erstens wird diese Nacht zu hundert Prozent draußen geschlafen, um nebeneinander ein paar schöne Stunden auf dem Boden zu verbringen, und zweitens sind wir beide total coole Socken für den ganzen Mist den wir miteinander durchgemacht haben, um genau hier gelandet zu sein. Wirklich erfüllt fallen wir beide in einen angenehmen Schlaf und konnten ungestört bis zum Aufwachen durchdösen. Dass ein so furchtbarer Anfang des einen Tages in etwas so Wunderschönes und Erfüllendes entarten könnte, wäre keinem von uns beiden in den Kopf gekommen. Und morgen soll es dann soweit sein. Das Ankommen in Valencia. Nein, wie spannend. 
Meine Schuhe ziehe ich, um die Stimmung nicht zu versauen, erst gar nicht aus... uns geht es in diesem Moment gut und das ist das Wichtigste. Wie zwei kleine Babys verbringen wir diese gemeinsame Nacht am Wasser, zusammen mit unseren Freunden den Fischen und den Sternen.

26.05.2025 - Es war einmal Valencia - Unser Impulsivkauf Ibiza

Die Nacht war vorbei, die Fische hatten aber anscheinend so einen Spaß bei dem was sie taten, also sprangen sie munter weiter und boten uns den lebhaften Ausblick des Morgens. Von einer Seite zur anderen zu schauen, brachte einen wieder an den Ort an dem man eingeschlafen war. Zehn Kilometer außerhalb Valencia's liegen wir an einem bewaldeten Ufer eines Flusses und feiern die erste gemeinsame Woche, die mit diesen Minuten ihre Gänze findet. Genau am Sonntag zuvor haben wir in kleinsten, pur weißen Space-Kapseln gelegen und unser letztes Hostel ‘genossen’ und jetzt sind wir so weit gekommen, man möchte es fast nicht glauben. Nach sieben Tagen sollte es soweit sein, endlich in Valencia einzutauchen. Wir starteten den Tag mit einer kleinen Nahrungsaufnahme und ich versuchte mit meiner inzwischen stumpfen Rasierklinge blind meinen Schädel zurück auf seine null Millimeter zu rasieren. Das war schließlich die geheiligte Länge auf die mein Haupthaar im März in Norwegen von Mönchen geschoren wurde, als ich vier Tage in einem buddhistischen Kloster in Grimo lebte. Das lief natürlich alles nach Plan. Lest euch gerne ein falls es interessant klingt!
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Ich musste das Projekt aufgeben, nachdem ich die Seiten vollbracht habe, die Klinge gab nicht mehr her, und lasse sie ab nun wieder wachsen. Das allsonntägliche Rasieren, ging mir eh langsam auf den Geist und meine Kopfhaut war mir bis dato auch noch nicht wirklich dankbar dafür. Ich hoffe die Haare wachsen überhaupt wieder nach... Zwar bin ich den Mönchen immer noch unendlich dankbar für den neuen Haarschnitt, aber bis ich wirklich ins Kloster gehe, kann ich wohl nicht durchgehend an dem Style festhalten. Na gut... wir packen unsere Sachen und machen uns voll guter Energie auf den Weg. Wir haben fanatisch geschlafen und sind super aufgeregt Valencia für uns zu entdecken. Ausserdem gibt es noch ein ganz besonderes Special für uns. Der Küchenchef des Restaurants in dem Martin am Alexanderplatz in Berlin kellnert, befindet sich zufälliger Weise zur selben Zeit in Valencia wie wir. Dieser liebe Mann unter dem Namen Maurisso, hatte Martin und mich auf ein Essen zusammen mit seiner Partnerin eingeladen, aber nicht nur irgendein Essen, sondern das berühmteste Gericht der valencianischen Region; Paella! Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass wir im Sechsten Stock eines fünf Sterne Hotels sitzen würden oder dass die Küche einen Michelin Stern besäße, oder dass das Gericht zu der Zeit unseres Laufens schon vorbereitet werden würde, aber wir freuten uns auch ohne dieses Wissen unglaublich auf die so lange, so hoffnungsvoll erwartete Mahlzeit. Die erste Mahlzeit die wir uns käuflich erwerben werden, anstatt uns Dinge aus dem Supermarkt zusammen zu mischen.
Zurück zu unserem Morgen, an dem wir durch die Vorstadt bis in die futuristische Neustadt Valencias vordringen. Zu einem Zeitpunkt macht Martin eine Audio an seine Mama und ich finde es herrlich wie spannend und übertrieben er unsere Geschichte erzählt und fühle mich ein bisschen schuldig dafür und schäme mich was die arme Mama von mir denken muss und wie viel Angst sie um ihren Martin nach diesem Update haben muss. Er erzählt von Autobahnen in Bergen und Wildschweinen und irren Menschen in Geisterstädten... alles Dinge an denen ich arbeite sie zu verdrängen. Aber bis wir das beide geschafft haben, gibt es wohl noch Stories zu erzählen und zu beschreiben. Total frech was ich mir hier erlaube. Den 19 jährigen Bub einfach in irgendwelche Abenteuer hineinzuziehen, ohlolo, das geht ja nicht.
Kurz nach seiner Audio sehen wir ein Schild. Auf gelben Hintergrund wird uns ein Fährensymbol präsentiert und darunter steht in schwarzen Lettern der spanische Name für Algerien. Es dauert ein paar Sekunden und dann habe ich einen Geistesblitz. Ich rufe Martin zu mir und gespannt starren wir gemeinsam auf das Schild, was da so doof und reglos sechs Metern über unseren Köpfen schwebt. Wir genießen den geteilten Moment der Verwirrung, bevor ich Martin Einblick in mein Hirn gewähre und keine Minute später gehe ich auf die Karte meines supertollen und wundervollen viereckigen Smartphones, um auf der Karte die ozeanische Region Valencia's einzusehen. Ich bemerke, dass Algerien ein wenig zu weit weg ist, aber wir finden eine Insel. Die Insel trägt den Namen Ibiza. Es braucht nur ein paar Sekunden und zwei Idioten, die sich dann leicht verträumt in die himmelblauen Augen starren, bevor ich auf der Homepage der agierenden Fährengesellschaft bin und nach Routen schaue, um auf die benannte Insel zu gelangen. Das Ganze ist im nu entschieden und so heißt es, dass wir morgen Abend die Nachtfähre nehmen und drei Tage auf Ibiza campen werden. Da wurde nicht lange diskutiert. Wozu auch. Das Geld war weg und der Plan stand. Bevor wir also in Valencia angelangt sind, ist unser Verlassen auch schon wieder geplant und so fängt das Erkunden der Gegend richtig an. 
Willkommen in Valencia!!!

Wer dachte, dass Straußeneier groß wären, sollte sich schnell neu erkundigen oder einen Blick in 'Die Stadt mit Ei' werfen - Valencia.

Hier ein Kaktus mit Schnecken - hab einen schönen Tag!