Mambo

Mambo

13.09.2025 - Natur, Menschen, Tiere

Zwar weiß ich nicht wie dein Morgen zur Zeit aussieht, meiner findet allerdings meist unter Schlafmangel ab 7 Uhr statt um eine halbe Stunde später dem Morgenkreis des Kollegiums der Schule beizuwohnen. Am ersten Morgen durften wir uns als Freiwillige vor allen Anwesenden, von Lehrkräften zu Putzkräften und Farmern, einmal vorstellen und sind seit dem stille Zuhörer, wenn die leitende Person namens Alfred dem Personal auf Swahili erklärt was ansteht oder, wenn kein Update zu geben ist, was generelle Werte und Richtlinien sind, die sie als Schulorganisation vertreten. Ein leichtes Beispiel: Pünktlichkeit.
Danach kommt Alfred jedes Mal auf uns zu, begrüßt uns mit einer coolen Fistbomb (hier Tano genannt) und übersetzt dann den Konsens des Gesprochenen. Mein Kollege Henri geht dann meist ins Bett, weil er nur zwei Stunden verfrüht zum kurzen Beiwohnen dieser Sitzung aufwacht und dann den restlichen Schlafmangel bekämpft. Ich überbrücke das Ganze weniger schlau und finde mich nach dem morgendlichen Kreis meist hier ein, das Zimmer des Vorbaus, entweder vor der Tür sitzend und in den Regen schauend, oder auf der braunen Couch mit dem Laptop auf dem Schoß. Ganz schön warm das Ding… Manchmal sitze ich so für eine Weile und tippe unbedacht vor mich hin, aber meist findet diese meditative Sequenz ihr Ende, wenn mein Mentor Teil des Geschehens wird, mir breit grinsend einen guten Morgen wünscht und dann fragt ob ich ihn auf die Farm begleiten kann; meistens um Fotos zu machen, was ein wahnsinniger Spaß für mich ist. Wenn ihr Fotos von diesen Farmausflügen im Blog findet, dann wird das heißen, dass mir die Erlaubnis gegeben wurde sie zu publizieren.
Mein Mentor heißt Peter. Peter, wessen Name ich immer englisch ausspreche, koordiniert vieles und schreibt Berichte über was ist. In Mwanza, wo er eigentlich zum Großteil der Zeit tätig ist, plant er viel in Zusammenarbeit mit dem Krankenhauses, wenn ich das richtig verstanden hatte. Er versorgt die Klienten mit Terminen und Informationen über den kommenden Eingriff und plant den Verbleib der Mütter mit ihren Kindern am House of Hope; der Ort an dem Loana und ich verweilen werden. Sein Fachwissen ist breit, aber noch durch sein Englisch befangen. Ich hoffe zumindest meine Sprachkenntnisse an ihn weiter geben zu können, da ich spätestens seit Kanada tatsächlich als ‘fluent’ bezeichnet werden könnte. Im Gegenzug nutzt er schon jetzt beinahe jede Gelegenheit, um mir seine geliebte Sprache, Swahili, beizubringen. Eine Zunge auf die ich mich aus Tiefen freue. In keiner Welt könnte ich durch das Jahr kommen, ohne dabei die Sprache zu lernen. Das merke ich schon jetzt, und das ist es auch was mich besonders froh macht, da es die Sprache selbst sein wird, die mir Einblicke in die Menschen und ihre Kultur vor Ort geben wird. Peter’s Aufgabe hier an der Schule ist es, den drei jungen Männern, die als Farmer angestellt sind, beizubringen wie sie den Farmbetrieb biodynamisch gestalten. Wir sind an einer Waldorfschule. In Kanada lebte ich in einer Kommune, welche von der gleichen Ideologie geprägt worden ist -  die Anthroposophie. Die deutsche Organisation, welche mich nun das zweite Mal an einen atemberaubenden Ort mit unglaublicher Arbeit vermittelt hat, heißt ‘Freunde Waldorf’. Im Morgenkreis tanzen wir die Vokale in Eurythmie, eine Bewegungswissenschaft die Laute und Worte in Bewegungen fasst, und auf der Farm ist eine Art des Landwirtschaftens das Ziel (das wie schon gesagt ‘Biodynamik’ heißt), welches den Rahmen des anthroposophischen Daseins noch weiter ausschmücken würde. Eine nette Ideologie, mit deren Kritik man sich zweifelsohne auseinander setzen muss, bevor man wertschätzen kann, wie vielen Kindern sie Bildung verschafft hat, wie vielen Behinderten einen Ort zum Leben leben, und wie vielen Menschen einen Sinn und eine Perspektive im Leben. Mit anderen Worten - es gibt schlechtere Dinge auf der Welt. Für jetzt werden sie erst einmal benannt, aber zu gegebener Zeit vermutlich auch ausgeführt. Sollte die Idee bestehen bleiben mein Studium im New York State abzuhalten, wo ich die Möglichkeit angeboten bekam im Rahmen einer solchen Kommune und ihrer Akademie zu studieren, dann wirst du spätestens dann alles darüber erfahren…

Ich möchte dir als nächstes unseren Alltag und was ihn verziert etwas näher bringen; durch Berichte über die Arbeit mit Kindern, Spaziergänge in der Gegend und dem Essen, welches für die Kinder das immer gleiche ist und für uns Freiwillige meist am Abend abweicht, weil wir uns in unserem Stammimbiss einfinden. Den Versuch den ich hier starte ist jener, den ich nicht auf persönlicher Basis mit jeder Person mit der ich in Kontakt stehe, vollbringen kann. Stell dir vor an einen Ort zu gelangen, der keine Parallele zu deiner vorigen Welt hat - nichts was dir bereits bekannt oder gewohnt vorkäme - Gerichte, Pflanzen und Umgangsformen, für die du allesamt keine Worte findest. Stell dir vor du stehst in einem zu kleinen, rostigen und ziemlich alten Minibus mit 35 anderen Menschen und bist auf dem Weg in die nächste Stadt hinein, aber nichts in deiner Wahrnehmung möchte sich reimen, möchte Sinn ergeben. Du siehst Menschen und sie leben. Aber weder sind es die Menschen, die du gewohnt wärst, noch ist es ein Leben, das man sich jemals hätte ausmalen können. Wenn dein eigener Kopf fassungslos und gleichzeitig begeistert dasitzt und versucht zu observieren, aber keinerlei Worte findet, dann haben wir ein gewisses Problem. Dieses Problem hatte sich als erstes in Form von Überwältigung gezeigt, als ich zum ersten Mal in ein W-LAN Netz eintauchte und mich Unmengen an Nachrichten aus Deutschland und der westlichen Welt zu überrollen drohten. Spätestens nach zwei Menschen meines Herzens war mir klar: ich bin zu müde, ich habe keine Kraft die richtigem Worte für jede Person zu finden, ich bin nicht fähig diesen Menschen in gesprochener Form eine andere Welt auf verständliche Art und Weise näher zu bringen. Diese Situation fand gestern Abend statt. Heute sitze ich hier und versuche meinen Ansatz durch das Geschriebene. Diese Worte geben mir ein wenig mehr Hoffnung. Hier finde ich meine Möglichkeit aufzuholen, mit was ist. Zu verarbeiten, indem man eine Beschreibung, ein Konstrukt aus Worten auf etwas Erlebtes legt. Das fühlt sich besser an als in dem eigenen Anspruch zu ertrinken, während man versucht eine zwanzig Minuten Audio pro Person zu erstellen. Nun denn, was ist dieser Ort für mich?

Das erste Gericht auf tansanischem Boden, welches mir über die Zunge glitt, war eine kleine Suppe mit Ölblasen auf der blassgrünen Oberfläche, winzige Partikel von Hühnchen, welches im großen Topf aus dem die Suppe kam, eingelegt war. Wir würzen die Suppe mit einer Art scharfen Peperoni, Limette und Salz. Zwei ungesüßte Pfannkuchen machten das Brotmedium zum Tunken aus. Man nennt sie Chapati. Es gab eine warme Milch und Datteln, die wir in der Milch einlegten. In meinem Rücken stand ein Kasten aus Plexiglas mit Gebäckstücken drin; wir sehen alle Formen von frittiertem Teig, Süßkartoffeln und Fleisch an Spießen. Daneben ist ein Gebirge aus Pommes zu finden und die Beilage aus Salat, welcher nur aus feinen Streifen, grün und orange, besteht, liegt darunter. Rechts von dem Schaukasten sind je nach Menge der Menschen die eintreten, entweder ein kleiner Grill mit glühender Kohle gefüllt, oder zwei. Auf der Kohle liegt eine große eiserne Schale die mit Öl gefüllt ist und in welches dann alles ‘frisch’ frittiert wird. Das Essen kommt, wenn man Glück hat, oder sich eben für das Gebäckstück im Öl entscheidet, noch brutzelnd warm auf den Teller und schmeckt doppelt so gut.
Verzeih, ich habe das Umfeld ausgelassen… wir befinden uns 15 Minuten Fußmarsch von der Schule entfernt. Die Hauptstraße mit all ihren Geschäften und knatternden Fahrzeugen füllt die akustische Atmosphäre, sodass jede anwesende Person Grund dazu hat, an der eigenen Stimmlautstärke zu arbeiten. Diese Hauptstraße ist das einzig Geteerte in der Gegend, während alle Straßen die zu unserer Schule führen aus Sand bestehen und ein echtes Off-Road Erlebnis darbieten, wenn man es mit westlichen Straßen vergleichen möchte. Autobahnen in Brandenburg können hier nicht mithalten. Die Stände sind entweder an der Seite in Blechgebäuden, hüttenartig, untergebracht, oder stehen frei und oft nicht größer als ein Holzbretterblock, dessen Oberseite gefüllt mit Obst (Papayas, Orangen, Melonen, Mangos…), Gebäck (frittierte kleine Kugeln aus einem Maismehl, Brot in dicken Dreiecken, Fladen in hell mit braunen Punkten oder dick, gelb und fluffig, lang gezogene Rollen aus süßem Teig mit einer Zuckerkruste drauf herum…), Fisch (winzige getrocknete Fische, die oft mit einer roten Soße gegessen werden, größere Frittierte sind auch dabei und die Auswahl wird immer größer, umso näher man der Großstadt und ihrer Küste kommt), Hühnchen (in alle Einzelteilen zerlegt und entweder im Waschprozess oder bereits beim Grillen. Ich möchte erwähnen, dass alles Aufgelistete in Haufen zu finden ist), Schuhen oder elektronischen Geräten ist. Und das alles neben den Dienstleitungen (mit einer Variation, dass einem nichts auszudenken bleibt, das fehlen könnte). An jedem dieser Stände wartet eine Person und arbeitet und guckt. So ist die Fläche zwischen gebauten Geschäften und der gefüllten Straße auch noch gut genutzt worden. Hier vermischt sich der sandige Boden mit Brocken aus Beton. Das Plastik, welches sonst jeden Weg abseits der Hauptstraße schmückt, ist hier zwar weniger, allerdings dürfte dieser Zustand niemals mit Sauberkeit verwechselt werden. Brocken aus Gestein, schwarzes Wasser im Sand, Material von Säcken, Hartplastikstücke und Tüten sind die Verzierung die ich beäuge, wenn ich barfuß durch alles hindurch stapfe. Unser eingenommenes Essen, von dem ich dir vor einer Weile berichtete, findet sich ein paar hundert Meter innerhalb des Straßengetummels bei Hasan. Hasan konnte mit seiner Art und dem anhängendem Charme, aber auch seiner Essenzubereitung bereits die ehemaligen Freiwilligen für sich gewinnen und hat sich nun die nächste Generation, also uns eingebrockt. Da sitzen wir also zu sechst. Der blaue Plastiktisch macht unsere Mitte aus, während um uns herum das offene Feuer brutzelt, der Markt seine Ware anpreist, Mopeds (Booda Booda genannt) zusammen mit Minibussen und Dreirädern die Straße füllen und Einheimische ihr Interesse an sechs Menschen mit weißer Haut durch Blicke kund tun. Es ist ein guter Ort. Die Menschen könnten offener nicht sein. Das permanente Grüßen auf der Straße könnte uns als Deutschen nicht fremder sein, allerdings ist es mindestens so schön wie fremd. Ohne der Atmosphäre in Deutschland etwas unterstellen zu wollen - hier schauen einen die Menschen interessiert an, wobei ich das Gefühl habe, dass anderswo Menschen aus dem Ausland kritisch und misstrauisch beäugt werden.
Einer meiner Mitfreiwilligen, Yannik, läuft wie ich ebenfalls permanent barfuß und zusammen mit meinem geliebten Poncho, bieten wir den Menschen um uns herum ein Spektakel an Ungewöhnlichem und wir haben die Freude den Menschen ablesen zu können, dass sie gar nicht wüssten wo sie anfangen müssten hinzustarren, um zu begreifen was passiert. Weiße Barfüßler im Poncho… das hatte auch schon in westlichen Ländern Starrerei zu genüge entfacht. Den Kindern scheint es nichts auszumachen und ausgelassen werden wir mit ‘Hi!’ und ‘Good Morning’ zu jeder Tageszeit begrüßt.
Auf dem Weg zurück zur Schule kommen wir durch den östlichen Teil von Vikindu. Unabhängig von der Uhrzeit sieht man Gruppen aus Menschen auf den Treppen ihrer Häuser sitzen und sie alle werden gegrüßt und grüßen zurück. Die straßenähnlichen Wege sind eng und Fußgänger teilen sich den tieferen Sandboden mit Mopedfahrern und selten auch mal einem Auto. Autos sind hier nach meinem Kenntnisstand ein Gut, welches sich nur seltenst als Privatvergnügen angeschafft wird, sondern eher eine Investition ist die man tätigt, wenn man ein Geschäft des Transports daraus machen möchte. So merkt man problemlos beim Schauen auf die Straße, dass beinahe ausschließlich motorisierte Blechkisten mit Rädern für den öffentlichen Verkehr umher düsen. Somit könnte man sich eigentlich jedem Fahrzeug annähern, um nach einer Mitfahrgelegenheit zu fragen, aber leichter wäre es die Gruppen aus Mopedfahrern am Straßenrand anzusprechen. Busse halten allerdings auch alle paar Sekunden, aus denen dann schon beim Rollen eine Person springt und die Richtung durch Rufe anpreist. Passagiere steigen oft schon aus, wenn das Gefährt nach fährt oder hüpfen nach dem Losfahren auf. Ein hoch interessantes Treiben, dass hier vor sich geht.
Auf dem Weg zur Schule ziehen Häuser an uns vorbei, die nur seltenst verputzt sind und manchmal nicht fertiggestellt werden konnten, durch fehlendes Geld, aber dennoch bewohnt werden. Das Plastik nimmt vielem die visuelle Harmonie, aber ansonsten ist es ein wunderschöner Anblick. Viele Kinder, die in Grüppchen ihre Orte haben und uns oft von der Schule kennen und freundlich zurufen; Frauen mit manchmal riesigen Objekten auf ihren Köpfen, die sie problemlos balancieren und dabei noch wundervoll anmutig laufen, wobei sie in Gewänder aus purer Farbenpracht gehüllt sind, bei dem kein Stück Stoff dem anderen auch nur ähneln würde. Viele tragen ebenfalls wunderschöne Kopftücher. Palmen und Bananenbäume sprenkeln die Sicht. Freilaufende Hühner säumen den Wegesrand und ganz selten erblickt man auch eine Katze.
Am Tor unserer Schule, welches in schönen Farben bemalt wurde, endet unsere Reise an jedem Abend, bevor wir ans Lagerfeuer gehen und noch lange Unterhaltungen vor uns haben. Angestellte der Schule finden sich hier oft ein, meistens die drei Farmer und zwei Lehrerinnen, die sich dann gemeinsam etwas über dem Feuer kochen. Das Hauptgericht ist eine Breimasse aus Maismehl und Wasser, welche erhitzt wird und wie das Meiste anschließend mit der rechten Hand und Bohnen oder Tomatensoße gegessen wird. Hier an diesem Platz am Feuer, zwischen drei großen Betonblöcken mit Treppen, die blau gestrichen sind, lassen sich viele schöne Abende verbringen und die Sicht auf den Himmel wird bereichert durch eine Palme. Zwar sind die Sterne nur wenig vertreten, dafür durften wir aber einen Blutmond erleben, zwei Tage nach dem ankommen. Es war Vollmond und ich nehme an, dass der Erdschatten sich über Bruder Mond gelegt hat, sodass er in diesem Prozess allmählich immer roter wurde. Ein wunderschöner Anblick…

Wenn du noch rausfinden möchtest, wie die große Stadt Dar es Salaam wirkt und in Teilen aussieht, dann schnuppern gerne noch in Peace Upon A Few rein!