Wer Strandbar ruft, muss auch Wildschwein sagen (19.05)

#3 La Villa Joiosa, Benidorm und Altea - Von Schienen und Autobahnen bis hin zu Wildschweinen
Einen Fiebertraum später konnten wir uns also wieder wach nennen und einigermaßen vom Schock der Nacht und ihren Mückenstichen erholt, schafften wir es auch unsere Sachen zu packen und später von unseren ehrlich nicht all zu schönen steinigen Strand aufzubrechen. Die Zähne wurden mit Meerblick geputzt. Wir kamen durch die Nebenstadt Alicante’s, besuchten eine kleine Felswand und ihre Meeresnähe und aßen Martins Zitronenkekse, welche er zur Hälfte der Welt und den in ihr lebenden Vögeln schenkte. Nicht etwa aus der sonst gewohnten Gutherzigkeit, sondern aus der Unfähigkeit heraus eine Plastikverpackung adäquat auf einer Seite zu öffnen. Unsere Mittagsstelle befand sich an einem ganz besonderen Platz. Wir wirbelten im kurzzeitig leichten Nieselregen durch Blumenstraßen und kleine Bauten, welche den streunenden Katzen Unterschlupf gewähren sollten, verzehrten dann eine wilde schöne Zitrone indem wir den Saft in den kleinen goldenen Kelch, den Martin von mir bekam, ausdrückten und genossen den trockenen Ort unter einem Olivenbaum. Das passierte alles bevor wir an unser Mittagsörtchen kam und hier ist die kurze Schilderung unseres Ausblickes: Eine Sandsteinküste mit einem großen flachen Plateau, dass vom Hang abgebrochen zu sein scheint und mit seinen zwanzig Metern von der Hügeloberseite bis ins Wasser ragte, macht die Hügelseite und den Übergang von Hügelspitze ins Meer aus. Dieses Bruchstück aus Stein welches so glatt vor uns präsentiert liegt, war in seiner Größe kein Spaß mehr. Umso faszinierender war es seine Lage zu betrachten und festzustellen, dass in dem Schatten unterhalb eine kleine Höhle über die Jahrhunderte gebildet wurde. Das Wasser selbst war leuchtend durch die Sonne und den hellen Unterboden und lud mehr als alles bisherige zum schwimmen ein. Martin und ich setzten uns und schauten auch die schönen Bauten auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht an und erfreuten uns an unseren Sinnen bis ich mich zurück zog, um in der Sonne zu liegen und Früchte zu futtern und Martin sich ans Wasser pflanzte um sein Notizbuch zu bemalen. Der Ort war zeichnete sich aus durch seinen sandigen Hügel den es zu beklettern galt und die ungewöhnlichen großen Steine am Wasser, trotz des Sandhanges. Später fand ich mich unter dieser riesigen Steinplatte im wundervollen Schatten auf einer Art Bank aus dunkelrotem Kunststoffgewebe, aber völlig ausreichend, um eine Art Komfort und Liegefläche zu bieten. Für eine Weile genoss ich Schatten und Ruhe, aber als Martin kam und Hummeln im Arsch zu haben schien, nutzte ich jene von außen kommende Motivation und überredete ihn und mich zum Schwimmen. Gesagt getan und wenige Sekunden später quälte man sich über spitze große Steinklotze nackig ins Wasser und genoss umso mehr die vollendete Tat durch schwimmen und tauchen, bei erhöhtem Wellengang und wunderschöner Unterwasserwelt. Auch ohne Taucherbrille gab es viel zu erkunden und sich zwischen Steinen entlang zu schlängeln machte ebenfalls ohne Brille großen Spaß. Taucherlebnisse verzaubert ein ums andere Mal und jedes Mal scheint man intensiver wahrzunehmen in welcher genialen Materie man du unterwegs ist und wie es das Ähnlichste zum Fliegen sein wird, was wir als Menschen sonst erleben könnten. Insgesamt gab das den Feinschliff zu einem schönen Ort und wir hatten viel zu lachen, was zwar schön für uns ist, dem Leser aber reichlich wenig weiter hilft. Als Wiedergutmachung hier ein Witz: ah Mist, ich merk grade, dass dieses Format keine Zukunft hätte.... Naja egal, als es dann aber weiter bei uns ging, hatte ich die blendende Idee die Luftlinie einzuschlagen und der Ort, welcher das am ehesten ermöglichte, um in die nächste Stadt zu kommen, waren eben die Bahngleise. Man müsste es sich so ausmalen - Die Berge werden langsam immer größer und vor uns liegt eine Ausbuchtung der Küste, die es ansonsten zu überqueren gäbe. Da wir weder Lust auf Berge noch Steilküste hatten, dachte ich mir für uns beide eben die Gleise aus. Und so kam es, dass wir beinahe 9 Kilometer auf Bahngleisen zurück legten... gefährlich war das ganze natürlich nicht, schließlich haben wir ja Augen im Kopf und zählten die Minuten der Bahn auf ihrem alleinigen Gleis, um ihren Rhythmus zu erschließen. Bei einer einzelnen Schiene war das ein Leichtes; 30 Minuten zur nächsten Stadt, und 10 wenn sie an uns vorbei kam und bei der vergangenen Stadt hielt und umkehrte. Mit nur einer Bahn war es uns das Risiko wert, wobei gesagt werden muss, dass Martin die wesentlich gesündere Menge an Respekt und Furcht vor dem tonnenschweren Metallwurm besaß. Wir passierten drei Tunnel. Martin hatte auch seine Zweifel geäußert, aber geschafft hat man es trotzdem. Tom Cruise schafft das auch in jedem seiner unmöglichen Filme, und Spaß gemacht hat es erst recht. So eine medium eingesungene Tenorstimme kann ganz schön trällern, wenn das Adrenalin kickt und jeder Schritt tiefer in die Dunkelheit führt. Gesungen hatte ich, wenn die Erinnerung nicht täuscht, ‘City of Stars’, ‘Let it be’ und natürlich MamaaAaAa aus der wundervollen ‘Bohemian Rapsody’. Der Lokführer grüßte uns mit langen und lauten Gehupe, ein vermutlich typischer, spanischer Gruß der Brüderlichkeit. Im längsten Tunnel hatten wir uns zu Beginn hingesetzt und auf den nächsten Zyklus gewartet, um voll Sicherheit weiter zu laufen, und unser Lachen als der Zug an uns vorbei schoss und der Wind doch wesentlich stärker als vermutet war, schallerte vermutlich bis in die übernächste Stadt.. Und eh man sich versah, war man auch schon vom Eisen ab und wieder auf dem Weg durch Gestrüpp und staubige Wege, um zum nächsten Supermercado zu kommen. Wir aßen eine Orange, ich las eine Bibelstelle im Evangelium aus der schönen schwarzen Lederbibel mit den goldenen Lettern, King James Edition, die ich mir für die Reise aus mehr oder wenig großer Überzeugung eingepackt hatte, schließlich pilgern wir ja, und dann meditierten wir wobei wir anschließend Atemtechniken und alltägliche Praktiken besprachen, die den einen oder anderen Vorteil bringen könnten. Falls Bauchatmung und Kreisrespiration Begriffe sind, kann man sich nun etwas darunter vorstellen. Wichtigste Punkte waren, dass wir im alltäglichen Leben nie unser Lungenvolumen ausschöpfen und immer nur von der Oberfläche des Möglichen atmen. Unsere geteilte Technik um das zu beheben ist, zu aller erst sehr tief in den Bauch einzuatmen, circa 70% des möglichen Gesamtmenge, und dann den Atem höher zu führen und den Brustkorb und jenen im selben Atemzug damit zu füllen. Eine Art Welle der Atembewegung die sich durch den Körper wälzt und Bauch und Brust beansprucht, wobei dabei noch ein größeres Volumen ausgeschöpft wird. Gar nicht mal schlecht.
Ein kurzer Exkurs darüber, warum ein erzogener Atheist, ein später sich zum Nihilismus bekennender und schließlich den Buddhismus und Pantheismus für sich entdeckender Wicht wie ich einer bin, eine christliche Bibel zu seinem Gepäck zählt… Der Anstoß dazu war folgender: In der Aufgabe sich durch die größte Literatur unserer Zeit zu graben, muss neutral gesehen werden, dass die Bibel das meist gelesene Werk ist. Ein klassischer Banger eben. Gefunden habe ich diese schwarze Bibel mit goldener Schrift in einem Second Hand Laden in Kanada und hielt sie für unfassbar besonders und luxuriös, weil sie doch so schön aussah. Später merkte ich, dass es sich um die Standart-Bibel handelt, die in Amerika vermutlich in jedem Hotelzimmer zu finden ist. Der Grund, welcher mich an dieses Buch bindet ist folgender: nachdem ich dieses Buch erworben hatte, dauerte es drei Tage, bevor der Laden, welcher es mir ausgehändigt hatte, bis auf die Fundamente niederbrannte. Es schien mir ein schlechtes Omen zu sein und so verbindet uns nun die abergläubische Furcht…
Kurzes Update zur Meditation um ein Vorher-Nachher-Bild erschaffen zu können; Stand jetzt ist jener, bei dem Martin am meisten dabei struggelt für eine lange Zeit mit gekreuzten Beinen zu sitzen. Ich kann das ziemlich gut nachvollziehen und bin zurück schauend stark überrascht wie sehr ich mich daran gewöhnen konnte, obwohl ich noch weiß wie ich vor 1.5 Jahren mit starken Knieschmerzen anfing zu üben. Neun Jahre chronischer Knieschmerzen durch einen Skiunfall hatten damals ihr Ende gefunden, als ich in Kanada für sechs Monate ohne Ausnahme barfuß gelaufen bin. Martin konnte ich den Diskomfort auf die Schnelle nicht nehmen, aber die Erkenntnis, dass Schmerz eine zugelassene Art der Wahrnehmung ist und eigentlich getrennt vom Geist existiert, würde uns später in dieser Reise noch erreichen dürfen. Für mich selbst hatte ich es damals in Norwegen gelernt. Einer der Mönche hatte sich die Zeit genommen, mir und meinem dort gefundenen Freund Alex vieles zu berichten und in der Tiefe zu erklären. Auf magische Weise so, denn Englisch sprach der wundervolle Mönch beinahe keines.
Es war super im Schatten zu sitzen und der Weg bis in die Stadt ging direkt zweimal so schnell, mit einer kurzen Pause zur Erholung. Wir kamen zum Supermarkt, wahrscheinlich derselbe bei dem Travis Scott seine Lyrikinspiration für ‘Highest in the Room’ bekommen hatte, weil der mit Abstand bekiffteste Mensch im Umkreis war der werte Verkäufer, welcher uns mit einem nicht zu überbietenden Lächeln und Handschlägen unser Baguette und den Humus andrehte. Lustiger Dude, aber was für eine Pein sich in nem Supermarkt die Beine in den Bauch zu stehen und dabei noch so knalle high zu sein. Egal, das Brot mit Humus und die Hafermilch waren ausnahmslos phenomenal und sehr mächtig; der Schatten knallte und die älteren Damen aus Britannien gaben uns im Vorbeigehen durch ihre Kommentare den Rest. Martin hatte sich überlegt eine Wassermelone zu schlachten, aber schien diese Idee aufs weitere verschoben zu haben. Jedenfalls schafften wir es anschließend in die nächste Stadt, wenn auch schon ein wenig müßiger als sonst, die Fußsohlen konnten ihre Probleme und Beschwerden inzwischen nicht mal mehr an all ihren Zehen aufzählen. Ausserdem war mein Rucksack überraschend schlecht konstruiert. Ich hatte Verdacht in jene Richtung schon während Norwegen geschöpft, aber nun schien sich jener stärker als gewöhnlich zu bestätigen. Gerissen war genug, nur von der Polsterung war zu wenig gegeben. Ich hatte mal Martins Rucksack aufgesetzt und musste mir ein Stöhnen der Freude verkneifen, weil der einfach super war. Ich kann mich nur preislich über meinen freuen. Dreißig Tacken scheinen einen doch durch die Welt bugsieren zu können.
Nach einer unangenehmen Autobahnstrecke später und vielen zu bewundernden, angefahrenen Schmetterlingen die man auf dem Weg fand, nach Einbruch der Dunkelheit und schönem Sternenhimmel, nach Exkursen in so manchen Stephen King Roman und einer Ausführung meiner persönlichen Beziehungshistorie, und einem Stop auf einem schönen Hügel mit Blick übers Meer, mit antikem Turm an der Küste in der Ferne zu sehen, dem Bergland im Rücken und die schöne Sonne im Niedergehen, als auch nach der ein oder anderen Reflexion meines Martins über seine Kindheit und wie er ohne getoastetes Toastbrot aufwachsen musste, kamen wir schließlich doch in die Villa Joiosa. Solche Sätze verkneife ich mir in der Zukunft. Verzeiht!
Zwar landeten wir bei Nacht, aber dadurch nicht weniger erleichtert, und so suchten wir uns den nächst gelegensten Strand um an ihm zu schlafen, diesmal mit Sand und schöner Aussicht auf eine kleine Promenade. Ich fragte bei einer immer noch geöffneten, aber kundenlosen Strandbar nach einem kalten Wasser und fand Getränk und Antwort, beides gegeben von einem hervorragend Englisch sprechenden Dreißigjährigen mit überwältigendem Körperbau und klugen Augen. Mit dem kalten Wasser machte ich mich kurzzeitig davon um Martin auf dem Holzsteg zur Seite zu sitzen. Mit Stehen war ab diesem Punkt nichts mehr zu holen. Wenig später zog es mich wieder zur Strandbar und durch meine Anwesenheit gezwungen, sah sich der junge Mann mir gegenüber zur Antwort verpflichtet und so lernte ich für was sich anfühlte wie zwei Stunden den wundervollen Omar kennen. Spannender hätte eine Person nicht sein können und ich weiß, dass seine Ansätze und Ideenwelten die meinen noch das ein oder andere Mal bezirzen werden. Hier ist was passierte und wer er ist:
Omar, 29, aus Algerien, hatte diese Arbeitsstelle durch die Mutter eines Freundes erworben. Sein eigentliches Einkommen erwirbt er allerdings als Content Creator und Influencer in seiner eigenen Talkshow über Genderrollen und beziehungsbezogene Phänomene. Sein größter Wunsch ist es allerdings durch eine Art des Thai-Boxens und Kämpfe von jener Sorte Geld zu verdienen, aber er gibt seinem Traum aktuell noch Zeit. Er ist höchst interessiert in Ernährung, allerdings wie viele andere der Auffassung, dass eine Nahrung nur aus Eiern und Fleisch alles sein könnte, was der Körper bräuchte. Ich kann mich immer noch nicht ganz damit anfreunden, aber unser Austausch über Fasten, über unsere Ernährungsindustrie und B12 war erfrischend. Martin gesellt sich dazu und wir erzählen über unser bisheriges Erlebnis, über das Reisen generell und driften dann elegant in Verschwörungsmythen über die Matrix, das Geldsystem und Impfstoffe ab. Das alles war vertretbar bis zu dem Punkt als Omar auch eigene Vorstellungen über die Geschehen des Dritten Reiches hatte. Wir kommentierten mit gehobenen Augenbrauen und gekratzten Stirnen, aber ließen es undiskutiert. Was soll man Leuten, die sich das Ausmaß eines industriellen Massenmordes nicht vorstellen können auch erzählen? Eigentlich sind sie gesegnet in ihrem Denken, weil sie Bestimmtes nicht wahrhaben. Oder er hatte in allem Recht und wir werden von Geburt an gebrainwashed, auch total möglich... der letzte Exkurs möchte mit einem Satz zitiert und gleichermaßen zusammen gefasst werden: ‘Folge dem Geld und du findest wem die Welt gehört.’ An dieser Stelle möchte ich mich entschuldigen, das was wir an dieser Stelle gelernt haben, nicht Wort für Wort wieder zu geben, denn die Welt verpasst etwas unfassbar Großes in ihrer Unwissenheit über das, was Omar an dieser Stelle mit uns teilte. Es soll meine Aufgabe sein, mehr Informationen darüber in der Welt zu finden, um anschließend tatsächlich darüber zu informieren, Klarheit in der Sicht der Welt zu schaffen und unser Denken ein klein wenig besser gegen den Raub unserer Leben durch Geld zu wappnen. Freiheit vom Geld startet im Kopf und wird später ein Life-Style… bevor ich mich jetzt hier verirre, beende ich es und sage, dass später mehr davon kommen soll. Ein Versprechen an euch und eine Ermahnung an mich selbst. Prost.
Seine Schicht endete um 12 und er bietet uns Eiscreme an, die ich dummerweise ablehne nur um später zu merken, dass das die Rettung für meine bösen Zahnfleischschmerzen hätte sein können. Martin und ich wackeln den Strand hinüber, Martin ackert sich an dem Zelt ab und Martin schafft es zu gegebener Zeit alles aufzustellen, um dann allein darin zu schlafen, während ich die Sternennacht, die Palme in der Sicht und das Rauschen des Meeres dem halben Ersticken im Zelt bevorzuge.
Fun fact: auch der feinste und weißeste Sand ist, wenn mit einer Matte bedeckt, nicht weicher als ganz normale Erd-oder Steinböden. Eine Illusion die sich in dieser Nacht in Luft auflösen würde. Aber wer braucht schon Komfort…?
20.05.2025, Vom Casino bis zum Campen auf Europa’s höchsten Hotel - Zum britischen James in Benidorm und einer Fischsuppe, bevor man auf Spielplätzen schläft
Geweckt von dem Zustand des zum Schmelzen verdammten, erlöste ich Martin ebenfalls aus seiner Starre der Nacht, ich sitz schließlich ungern alleine doof rum und den Schlaf holen wir eh bald nach, und so konnten wir immerhin den Tag noch beinahe früh beginnen und nahmen die erste Chance um am Strand unseres Verbleibens zwischen einer Hand voll lokaler Fischer ins Wasser zu springen und den Ekel der Nacht abzuspülen. Nasse Füße und Sand sind so toll wie sie klingen, aber auch das löste sich nach 10 Minuten des Schrubbens in Luft auf und so konnten wir unseren Weg ‘unbeschwert’ fortsetzen. Das Kommende kann allerdings nicht mal eine verherrlichende Retroperspektive beschönigen und somit überspringe ich den stundenlangen Teil, der uns durch Wüsten und gelb blätternde Fassaden führte, um uns dann als durstige Wanderer vor die absolute Versuchung eines riesigen Casinos am Straßenrand zu führen. Wir gaben nach, die Lust nach Wasser war zu groß und genauso das Interesse wie denn so eine Halle voller blinkender Automaten und Pokertische von innen auszusehen hätte. Keine Ahnung mit welcher Illusion ich bis dahin gelebt hatte, aber es stellte sich heraus, dass es ganz genauso wie in Filmen aussieht, nur kleiner, hässlicher und mit weniger Menschen. Um rein zu kommen mussten wir uns umziehen, damit wir auch nach einem anständigen Casinobesucher aussähen, dann gaben wir unsere riesigen Säcke ab, welche die Frau des Empfanges freundlicherweise für uns verfrachtete und schon marschierten wir durch gläserne Schiebetüren. Alles danach war langweilig und die 21 Tacken Gewinn lohnten sich auch in keiner Welt. Wir hatte beide lediglich 10 Euro Gutscheine für den ersten Besuch bekommen, eine Bombentaktik um uns als Stammkunden zu gewinnen, und gewannen jene plus einen extra Euro. Den Jubel hätte man bis nach Deutschland gehört, wenn da welcher gewesen wäre. Danach prügelten Martin und ich uns um die 100 Cent und liefen dann todesbetrübt und zaghaft nach Benidorm; diese Stadt wird im Gegensatz zum Casino ein echtes Highlight...
Von der Ferne stach uns schon ein gewisser Typus Architektur ins Auge. Als wir näher kamen, schälte sich ein Hochhaus heraus was zweistimmig zur Besteigung erwählt wurde und so fanden Martin und ich uns nach einem kurzen Zwischenfall, welcher ein vorbeifahrendes Auto und dessen Fruchtware beinhaltete, und deren freundlicher Ausschank an unsere Wenigkeiten, vor jenem Gebäude mit Köpfen in den sonnenversengten Nacken gelegt, wieder und begonnen unsere spannende, durch Bond the James Gesumme hinterlegte Reise an die Spitze. Dreiundvierzig Stockwerke später und ein oder zwei Fakten über den Ort schlauer, wussten wir nun im höchsten Hotel Europa’s zu stehen und auf dem Dach campen zu wollen. Eine freundliche Dame nahe der Spitze verlangte von uns den unfreundlichen Preis von drei Euronen pro Kurzhaarfrisur, aber kaum war jene Hürde überwunden, stand nichts mehr zwischen uns und der nächsten Treppe. Und als jene überwunden war, stand rein gar nichts mehr zwischen uns und dem Kunstrasen, welcher den Aussichtspunkt über ganz Benidorm schmückte. Eine Rundumaussicht über das wunderschöne Meer, die Berge die sich um Benidorm legten, aber auch jene in der Ferne, die von uns auf dem Weg zum nächsten Ziel bestritten werden sollten. Die Stadt war unglaublich modern und von unterschiedlichsten Mehrstockbauten versehen. Der zu bemerkende Stil war jener der Zwillingsbauten, also eine Art von Gebäude, die meist immer zu zweit erschien. So war das höchste Ding ein zweifacher Säulenbau, in der Form von zwei Einsen, die sich gegenseitig anschauten und in der entstehenden Schräge an der Spitze zwischen beiden Neigungen nistete ganz frech eine riesige goldene Spirale, welche die klaffende Wunde auf bemerkenswert schöne Weise füllte. Das ganze schien eine goldene Wendeltreppe in schier unvorstellbaren Ausmaßen zu sein, aber als Ganzes betrachtet waren es mehr oder weniger simple Einsen und ein goldenes Dreieck. Oder ein ‘M’ mit Füllung. Ein anderer Bau faszinierte ähnlich, so war auf der gegenüber liegenden Seite eine Art Wohnblock zu sehen welcher die ersten 50 Meter Höhe durch sture, grade Wände wet machte, um dann die Krönung eines normal erscheinenden Riesenhauses, eine Art Villa als Kirschenverzierung zu tragen. Eine beinahe witzige Erscheinung von Wohnraum auf Stelzen. Wir sahen uns satt und aßen dazu Karotten und Baguette. Keine Ahnung woher das Brot kam, aber so schnell kann es gehen und auf einmal denkt keiner mehr an zuckerfreie Ernährung. So geht das immer einher. Man fastet und wird überschwemmt mit neuen Einblicken, neuen Ambitionen und Ideen und setzt jene auch teilweise und mehr oder weniger konsequent um. Aber die doofe Zeit überwäscht alles pure und so bleibt am Ende oft nicht weniger als die schwache Erinnerung an was einst eine neue brennende Intuition war und sobald der erste Bruch und Betrug am eigenen Vorhaben begangen wurde, lässt der zweite oft nicht lange warten. Meine Ernährung wurde also ab jetzt immer mehr der spanischen Supermarkt-Kusine ein Opfer und somit zwar leckerer, aber doch nicht viel gesünder.
So schnell wie wir es nach oben schafften, geschah der Prozess auch rückwärts zurück zur Erde wo wir uns dann Richtung Strand wandten und an der gefliesten Promenade unser Glück versuchten. Unsere Köpfe kochten und wir suchten eine Möglichkeit auf salzige Wassernähe ohne auch gleichzeitig in Menschen untergehen zu müssen. An einem Kaffee führte ein schmaler Pfad, für die meisten nicht als existent zu betitelt, für uns aber grade genug, an der Steilküste entlang und endete an einem kleinen graden Teil 20 Meter unterhalb der auf dem Hügel gebauten Häuser und mit einer kleinen Klippe an sich, circa 4 Meter, welche wir später nutzen würden um ins Wasser zu springen. Wir designten uns ein neues Gericht, mixten Dinge wie Haferflocken und Kichererbsen, mehr Brot und gute Tomatensoße, Seetang durfte natürlich auch bei keinem Gericht fehlen und bis auf die Zahnschmerzen oben links bereute ich nichts an unserer Lebensweise. Ich konnte hier sogar schlafen... Mal wieder in der prallen Sonne, aber die 50er Sonnencreme schien echte Wunder für meinen weißen Arsch zu leisten und so kam ich ohne Röte davon, allerdings wurde ich so auch kaum brauner. Unsere gemeinsame Aufgabe, neben zu findender Erleuchtung auf dieser Reise, war auch die Suche nach der Antwort ob denn Sonnencreme wirklich etwas ist, das wir auf unserer Haut haben wollen. Kontrovers und viel diskutiert fanden wir uns wie mit so vielen Informationen gestrandet in absoluter Verwirrung ob Wahrheit denn nur relativ und allseits individuell gewährt wäre, oder ob Bestimmtes einfach sicher zu sagen sein könnte. Martin nutzte die Zeit um mit Seife und Salzwasser seine Klamotten zu waschen. Belustigt reflektierte ich in der selben Zeit in der er alle Klamotten getragen hatte und nun zum waschen bereit ist, immer noch dasselbe Outfit trage wie zu seiner Ankunft. Zum Glück können wir einander nicht mehr riechen, aber fehlende Duschen und immer gleiche Kleidung wird wohl so manchem auf der Straße ein kleines Geruchsphenomen präsentiert haben. Auch die kommende erste Nacht gemeinsam im Zelt wird dadurch nicht angenehmer werden, aber dazu später mehr.
Wir schlendern also so durch Bendidorm und treffen an der Strandstraße den daher gleitenden James aus der UK auf seinem Elektro-Roller. Der gute Mann mit seinen circa 50 Jahren hätte witziger nicht aussehen können geschweige denn lustiger reden können. Wir befreunden uns in weniger als 20 Sekunden und keine Minute später lädt er mich auf den Roller ein und ich darf mein aller erstes Mal eine Runde auf einem solchen Gefährt drehen. Es macht ungelogen Spaß und ich kann die Menschheit nun besser verstehen sich freiwillig in die Zukunft aus Komfort und Nichtbewegens zu begeben um zu leben wie jene Menschen auf dem Raumschiff in dem Film des kleinen Roboters, der als letztes noch auf der Erde haust um Müllreste gepresst zu stapeln. Ich konnte nie sagen wie unrealistisch mir dieser Film erscheinen würde und in Wahrheit tut er das nicht. Kennen tue ich schon Menschen die dem optischen Ideal dieser Utopie entsprechen würden. James erzählt von seiner wilden Zeit hier und wie er nicht mehr als 3 Stunden Schlaf in den letzten Tagen seit Freitag bekommen hätte. Zudem beschwert er sich über seinen Daydrinker eines Freundes, der zu nichts zu bewegen wäre und die Preise für Prostitution hier in Benidorm passen ihm auch nicht, aber er meint trotzdem eine tolle Nacht gehabt zu haben, wobei er nicht vergisst uns beide zu beglückwünschen, da wir in unserem Alter für den ganzen Komplex noch nicht zum zahlen verdammt wären, sondern lediglich jemanden anlächeln müssten und nachfragen könnten. Wir ignorieren sein Kommentar und schließen ihn in unser Herz. Er bietet an mit uns angeln zu gehen, aber wir müssen ablehnen, weil es noch einige Kilometer zu bestreiten gilt und wir sonst zu sehr an einem Ort mit einer Person hängen bleiben. Wir drücken uns herzlich und auch das Foto fehlt nicht, es wurde sogar von ihm beantragt, und keine Sekunde später sind wir schon wieder auf dem Weg. Wir klemmen uns hinter einen schnellen Läufer und behalten sein Schritttempo als Motivation bei bis wir uns absplitten um bei einer Eisdiele nach einer Testprobe zu fragen. Wir erhalten eine und wollten schon weiter gehen, aber die Verkäuferin war so unglaublich nett, dass ich mich grauenhaft gefühlt hätte ihre Zeit für zwei nichts kaufende Idioten zu verschwenden und deshalb kaufen wir doch eine Kugel. Nicht zuckerfrei aber sehr gut schmeckend. Nur eben auch leider total teuer. Wurst! Kurz danach finde ich einen Schuhladen. Heute war der Tag an dem ich sicher wusste nicht mehr zu können. Die Blase zwischen den beiden vordersten Zehen artete immer weiter aus und die Schmerzen grenzten manchmal ans Extreme und Schuld hatte zu großen Teilen die fehlende Sohle im rechten Schuh. Ich finde eine perfekte Lösung und wir entfernen uns mit einem Problem weniger. Danach sitzen wir mit Strandsicht und sind mal wieder am Essen, das können wir tatsächlich unglaublich gut.
Wir peilen den etwas weiter weg gelegenen Parque Natural Serra Gelada an und erreichen die Vorstadt nach dreistündigem Dauermarsch. Wir passieren die Stadt L’Alfàs del Pi und finden spät abends noch ein kleines Restaurant, dass uns zu unserem Baguette ein kleines Schälchen mit fabelhafter Meeresfrucht-Tomatensoße serviert. Als wir fertig sind und den vermutlich größten Hund dieser Welt neben uns zu sitzen hatten, grüßt uns der Besitzer des Restaurant mit gebrochenem Deutsch und erzählt von seinem Werdegang und dem Fakt, dass er Nähe Kuhdamm ein Restaurant in Berlin führte und Martin bemerkt anerkennend, welche Leistung das wäre. Wir wackeln weiter und setzen uns erschöpft auf eine Bank um unser erstes gemeinsames Lied anzuhören. Ich selbst besitze seit Dezember kein Spotify mehr, aus dem einfachen Grund immer viel zu viel Musik gehört zu haben, ich liebe schließlich die Erfindung der Klänge, aber da ich jede freie Sekunde damit füllte, fehlte mir die Fähigkeit es auch wirklich wertzuschätzen. Und meine innere Ruhe musste auch dran glauben, denn mit Ruhe war nicht mehr viel zu haben. Ausserdem konnte ich so nicht die Zeit finden um in Gedanken zu sein und ich denke auch nicht großartig viel Musik selbst gespielt zu haben, wenn es nicht zum Ausgleich für jenes Fazit gewesen wäre. Und so kam es, dass Martin und ich uns auf YouTube fanden, ‘Jeremias’ eingaben und ich eines der Top 3 Lieder aussuchte und es spielte. Für ein paar Momente füllte dann ‘Alles’ von Jeremias unsere Luft und wir mochten es beide ausgesprochen gern. Danach ging es weiter und keine Stunde später fanden wir uns nach einem steilen Anstieg aus der Stadt heraus auf einem Spielplatz mit Sicht über die ganze Gegend, wenn es denn Sonne gegeben hätte. So war es nur Mitternacht, aber selbst unter jenem Umstand sahen wir die riesige sehr steile Felswand neben uns aufragen und die Aussicht auf die Lichter der Stadt, welche alles in goldenen Schimmer tauchten. Die Sterne litten unter der Störung, aber waren dennoch klar zu erkennen. Kaum war das Zelt aufgebaut, lag man auch schon drin, die Zähne geputzt und die Taschen halbwegs verräumt. Sie draußen zu lassen schien keine Option gewesen zu sein und so zogen wir uns lieber chronische Verspannungen und Yogaposen zum einschlafen zu, anstatt ein kleines Risiko einzugehen. Der Schlaf war furchtbar und durch Enge plus Stickigkeit gezeichnet, aber die Nacht war überstanden eh man sich versah, den Teil übernahm die durchgehend anwesende Erschöpfung. Fantastisch!
21.05.2025, Déjà vu Altea - Ein zweiter Riss - Martin’s Taschenmesser - Saint Michael - Unser Engel Diego und die Geisterstadt der Wildschweine und Veteranen
Im Zustand unverändert, öffneten wir am Morgen wieder die Augen und krochen mit Freude aus unserer Höhle. Ich verzog mich um quality time am Handy zu verbringen und fand einen Pfad, welcher zu einem Ausblick über das Meer und die Nachbarstadt Altea bot; der Ort von dem ich so sehr gehofft hatte ihn irgendwann mal wieder zu sehen, seit ich mit Jose dort hingefahren bin. Zwar ist das noch nichts allzu lange her, allerdings fühlt es sich auf einer interessanten Art und Weise nach einem anderen Leben an. Ich aß ein Glass voll Kichererbsen, versuchte mich dann mit bescheidenem Talent am Video-Editing und antwortete auf die Nachrichten, die mich sonst aufessen würden. Total erleichtert von jenem Ballast kehrte ich bald zurück um Martin vorzufinden, der vermutlich weit besseres mit seiner Zeit anzustellen wusste, und so saß er da mit Notizbuch in Denkerpose erstarrt, als er mir von dem Vogelgeschöpf berichtet, welches ihn besucht hatte. Seine Beschreibung rief in meinem Kopf einen Fasan hervor, er konnte sich damit aber nicht zu hundert Prozent anfreunden. Als er sich von dem Schock der Begegnung einigermaßen erholt hatte und wieder auf die Beine kam, brachen wir auf und hatten keine zwei Stunden später auch schon das wundervolle Altea vor uns. Selten schöne Steinstrände erwarteten uns, ein toller Hafen, die geflieste Innenstadt und natürlich der Temple Jubilata lagen vor uns und wir besuchten sie alle, allerdings erst nachdem mein zweiter Schultergurt riss. Voll Verzweiflung standen wir zu diesem Zeitpunkt neben Bauarbeitern und ich sprach jene an. Gesegnet von Verwirrung machten jene mir deutlich kein Wort Englisch zu sprechen und dank einer Fügung stand auf einmal eine nette Dame neben mir und dolmetschte für mich meinen Wunsch nach einer Strippe. Hoch erfreut hielt ich keine 10 Sekunden später eine weiße drei Meter lange Schnur in den Händen und wollte schon wieder vor Dank zerfließen, aber keiner der Anwesenden wollte das so richtig zulassen. Wie viel Glück in diesem Zufall steckte, war mir damals genauso wie heute nicht genau bewusst.
Deswegen setzten Martin und ich uns mal wieder auf eine Bank mit Aussicht auf Palmen, weißen Strand, kleine Inseln in der Ferne und britischen Touristen vor der Nase, um ein bisschen Luft zu holen. Wir schnabbulierten das restliche Obst, ich machte mich daran Knotenkünste im Angesicht der Not für solche zu erlernen und schaffte mir die beiden wichtigsten mit Logik und Trail-and-Error herzuleiten. Warum hab ich sowas nicht in der Schule gelernt? Irgendwann könnte einem ein guter Knoten das Leben retten… die bloße Existenz eines Seils hat mir vermutlich schon meinen weißen Po in Norwegen beschützt; ich entsinne mich dass es in den Preikestolen, dem Gebirge in der Nähe von Stavanger, die ein oder andere selbsterzeugte Schwierigkeit beim Abstieg gab. Mit 25 Kilo Gepäck ist das aber vertretbar… und barfuß im norwegischen März wurde an Brillanz auch schon überboten! So klettert ja niemand vernünftiges Steinwände runter, also nehm ich für dieses Mal die Schuld auf mich.
Danach ging es zum Brunnen der Stadt für mehr Wasser und anschließend in den von mir entdeckten Obstladen mit diversen anderen Dingen wie Fleischerei als auch Fisch- und Käsestände, und wir probierten lokalen Schafskäse bevor wir unserem Obst die Taschen öffneten und für einen Zehner wieder einen Tag lang genug zu futtern haben würden. Der Käsegeruch glich in seiner Intensität übrigens dem Kopfkino des halstief in Wolle Steckens. Nur damit ihr auch ein Bild von der Lage habt. Der Luxus des Tages war die gekaufte Cantaloupe und wenig später wurde genau diese auf dem Marktplatz des auf der Spitze der Stadt liegenden Tempels verzehrt, nicht ohne gierige Blicke anzulocken. Das Ganze funktionierte so fabelhaft, weil Martin nur ein paar Minuten zuvor in einem Geschäft für Besteck und Messer seinen persönlichen, zukünftigen Begleiter ausmachte; ein mittelgroßes Opinel mit spitz zulaufender Klinge. Absolut ausreichend und hervorragend in Funktion und Preis und vermutlich einer der best bekannten europäischen Alltagsmesser. Damit schnitten wir ab jetzt mehr oder weniger geschickt jedes Brot und jedes Naturprodukt ohne dabei Finger oder Gewebe aufgeben zu müssen. Martin, welcher zuvor anscheinend noch kein scharfes Messer in seinem Leben führen durfte, stellte sich manchmal einem Kind gleich an, aber das machte das Ganze nicht weniger süß und vor allem viel spannender. Nur halt tausend mal gefährlicher und so fand ich mich mit der Ehre, ihm ab und zu Verbesserungsvorschläge geben zu dürfen. Meine Hände und Handgelenke sind selbst mit Narben von Messerschnitten übersät - keine davon mit Absicht! - aber als Kind versuchte ich mich mit vielen Schnitzereien und das auch nicht all zu geschickt. Gelernt hab ich zumindest etwas... niemals hin zum Körper zu schneiden! Und die Klinge für sich arbeiten zu lassen anstatt mit Gewalt zu drücken und zu ziehen. Aber bei manchen ganz besonderen Individuen, wie meinem eigenen, dauert der Lernprozess eben eine Weile. Martin macht einen überragenden Job und die Cantaloupe schmeckt vorzüglich. Ein paar Briten, immer Briten, quatschten mit uns und bewundern unser Vorhaben bis nach Valencia zu laufen und scheinen uns beinahe dafür zu beneiden, wie arm und unbeschwert wir uns durch die Welt boxen. Sie selbst sprechen sich die Fähigkeit dazu ab und überzeugt werden wollten sie nicht. Wie schade.
Als Altea uns zu alt wird und wir nach Neuem suchen, beginnen wir einen Weg der Höhen und Abgründe, der uns durch unglaubliche Landschaften entlang der Autobahn führt. Wir laufen für beinahe zwei Stunden der Autobahn nach und das ununterbrochen bergauf. Wir schreiten durch Tunnel in den schönsten Bergen und Aussichten ohne Ende. Wir klettern über die Metallreling am Straßenrand um näher an die Untiefen zu kommen und wir finden Sandsteintreppen die auf gefährliche Weise an den Seiten der Hänge nach oben führen, allerdings nicht breit genug bleiben, um uns als Backpacker darauf zu tragen und schlussendlich müssen wir uns von jenem Adrenalinerlebnis zurück ziehen.
An einer unbestimmten Kurve, irgendwo ein paar Kilometer nach Altea, erscheint etwas in unserer Sicht, das wir so bisher nicht kannten. Zwar haben wir von Religionen und Gotteshäusern gehört, vieles waren Erzählungen aus dem fernen Deutschland, aber diese Art von Kirche war nun tatsächlich neu. Gleiche Art des Glaubens, neuer Stil der Gebäude. Wir standen vor der Saint Michael Church. Wer russisch lesen kann, wird seinen Spaß mit dem folgenden Link haben.
https://www.orthodox.es
An diesen Ort kamen wir. Ob das mit Absicht geschah, könnte uns Gott vermutlich verraten; wir für unseren Teil waren aber völlig planlos. Am Empfang sitzt eine wundervolle Dame, die keiner der Sprachen spricht, die unserem quattrolingualen Doppelkopf bekannt gewesen wäre. Wir, also Martin, kauft eine Kerze und wir dürfen unsere Rucksäcke bei ihr verstauen. Der Hof um das Gebäude selbst ist mindestens so prachtvoll wie das riesige hölzerne Kirchgebäude selbst. Das Gold auf dem Dach blendet uns mit Sonnenlicht und der Garten klaut unsere Aufmerksamkeit durch riesige hölzerne Pferde, die in aller Ruhe um uns herum grasen. Die Architektur ist beeindruckend, aber kann durch zu wenig Fachwissen leider keinen Ausdruck in der rechtmäßigen Wortes Pracht finden. Aber dafür gibt es hier ein kleines Bild zum Nachvollziehen:

Wie ihr selbst erkennt; ich hätte noch eine ganze Weile weiter schwärmen können. Dass es im Innern genauso wunderschön war, tut diesem Drang nichts oder nur wenig gutes. Man ist einfach geplättet und wortlos und das ist kein optimum, wenn darüber geschrieben werden möchte... da sollten die Kirchendesigner echt mal nen Gedanken dran verlieren.
Martin und ich fanden uns in dem einzigen zugänglichen Raum voll mit Gold, Bildern und kleinen Kerzen. Die Kerzen sind sehr dünn und länglich und werden mit einem schon brennenden Docht entfacht. Um diesen Docht herum ist ein kleines Schälchen voll mit schönem Sand, in dem die Kerze dann bestand finden soll. Der Raum hat eine Kuppel in seiner Mitte wobei die Wände umher aus zwei Torbögen bestehen, dem Ein- und Ausgang und dann der Hauptwand mit dem Altar vor ihr. Die Wand ist schlicht nicht mehr zu sehen, da jede kleinste Lücke von goldenen Bildrahmen gefüllt ist. Abbildungen der diversesten Heiligen, für mich leider gänzlich namenlos, schmücken unseren Blick. Eine unglaubliche Erfahrung mal in einer orthodoxen Kirche gestanden zu haben.
Sehr ihr die große Abbildung Jesus auf dem Bild weiter oben? Das an der Außenwand? Genau dort lag ich eine Weile als Martin auf die Toilette eilte und vertieft in dem Moment war ich wie jeder normale Mensch, der den Moment nicht ausreichend wertschätzen kann am Handy. Dieses Mal bereute ich es nicht, denn was meine Augen da aus Pixelstiefen ansprang war eine höchst erfreuliche Nachricht, in ihrem Ausmaß kaum zu greifen. Ich versuchte es für die nächsten Stunden, konnte aber nichts erreichen und war heilfroh irgendwann in der Geisterstadt zu landen, die unsere Aufmerksamkeit für den restlichen Abend in Anspruch nehmen wird.
Die Nachricht kam von meinem Chef. Ja, auch ein Rucksackreisender kann einen Boss haben. Dieser konkrete Boss wollte mir aber grade in jener Nachricht mitteilen, dass er jenen Posten eben nicht mehr hat. Mit anderen Worten - er schrieb mir soeben gekündigt zu haben... Ich lag auf dem Boden und somit hielten die Luftsprünge sich in Grenzen. Und bevor das falsch verstanden wird: ich freute mich nicht dafür, dass mein Freund und Vorgesetzter nun ohne Arbeit da säße - obwohl, das auch ein bisschen... der Job der uns verband war ein dreckiger - aber ich freute mich für meinen eigenen Hintern, denn mir war klar, dass der Laden nicht mehr weiter leben kann nachdem beide Vollzeitkräfte in kurzer Zeit ihren Job abgaben. Mir war eine Sache sehr bewusst. Jetzt grade ist der perfekte Moment für meine eigene Kündigung. Jetzt grade ist der perfekte Moment, das zu tun was ich für richtig halte. Ich hatte kein Interesse daran nach drei Wochen Spanien nach Hause zu kehren um weiter arbeiten zu können. Viel mehr schwebte mir vor die ganze Welt zu bereisen. Und genau diese Nachricht entfachte nun ein Feuersturm der Vorstellung was denn alles möglich wäre. Wie komme ich so weit wie möglich in die Welt mit wenig Geld? Wie könnte ich mich versorgen, Geld verdienen und am Leben bleiben? Kann ich ohne Geld Leben? (Das werde ich in circa fünf Wochen heraus finden) Ich dachte ans Bloggen. Es wird nicht lange dauern und ich werde an einem Sandstrand sitzen, nachdem mich Regen aus dem Schlaf weckte und die ersten Zeilen dieser Reise nieder schreiben. Vielleicht erinnert ihr euch an die ersten Worte, die ihr über diese Reise gelesen habt... das kleine Hallo aus Spanien. Also dann, der Traum war geboren und das Abenteuer war überall und ohne ein absehbares Ende. So schnell kann einen ein Handy auch mal ganz schnell viel tiefer in die Realität eines Momentes bringen, als man es sich erhofft hätte. In diesem Moment war es nur noch Freiheit was ich da wahrnehmen dufte. Hallelujah! Hatte mir Gott ein Zeichen gegeben? Hätte ich zum Orthodoxen konvertieren sollen? Ich hab es leider nicht getan, aber ich ließ meine Bibel aus dem Rucksack versteckt an diesem wundervollen Ort zurück, mit gutem Gewissen, und mit Worten aus der Zukunft kann ich bezeugen: das war alles die erste von vielen richtigen Entscheidungen. We're into the long run!
Wieder auf dem Weg...
Klippen und antike Brücken finden sich neben vereinzelten kleinen Wäldchen aus mediterraner Vegetation und unser Weg führt uns nach Calpe, eine kleine Stadt am Meer. Die Autobahn brummt und die Fahrradfahrer machen uns den Seitenstreifen des Öfteren unsicher. Ein vorbeifahrendes Auto wirft uns eine Zigarette aus dem Fenster und ich nehme das Geschenk dankend an. Zu viel frische Luft soll ja auch schädlich sein. Am Höhepunkt der Tagesreise - (diese Aussage hält drei Bedeutungen in sich und zwei davon treffen zu) - nachdem alle Berge überwunden scheinen und nur die Aussicht auf die weißen Häuser in grünen Berghängen und der steile allein stehende wunderschöne Berg direkt an der Stadt Calpe’s mit ihren schönen Häusern um sich herum, direkt am Meer, vor uns liegt, stoßen wir auf das Restaurant, welches trotz der zuvor erlebten Schönheit des Tages das absolute Highlight darstellen sollte. Gekommen sind wir nur, weil wir nach Salz suchten, um uns selbst Avocado Paste zu machen; Guacamole wäre übertrieben auf unser Vorhaben bezogen. Was stattdessen passierte war Folgendes: wir betreten das Restaurant und werden vom jungen Diego begrüßt. Wir erklären ihm unsere Lage, unsere Reise und unser Bedürfnis nach Salz und bekommen jenes. Er erklärt uns im Prozess, dass dieses kleine Gebäude aus vier Gastronomiekomplexen bestünde. Zum einen ist es ein italienisches Restaurant. Dazu gibt es eine eigene Pizzeria und zu unserer Rechten das kleine Glasfenster in dem die Backwaren der Bäckerei präsentiert werden. Diego selbst steht an der Coffee-Bar und sieht sehr stolz aus. Unsere Blicke fallen auf die Backwaren und vor allem Martin ist hin und weg. Ein Croissant lächelt uns mit Erdbeerverzierung, Schokolade und perfektes Bernsteinfärbung an. Mit Wasser im Mund tätigt Martin den Kauf und als wir in die Tüte blicken, finden wir ein zweites Gebäckstück, eine Art dicke Scheibe aus Blätterteig mit oranger Füllung von unfassbarer Cremigkeit und voll mit zuckererzeugtem Geschmack. Ein kleines, erstes Geschenk unseres neuen Freundes Diego. Ja, wir haben das gegessen, und ja, ab da war das mit dem Zuckerfasten eh Geschichte. Mist! Aber es hört hier noch nicht auf. Diego erzählt uns von dem Leben hier und wie es im Winter sehr ruhig ist und nur die Sommerzeit beanspruchend sein kann. Er liebt diesen Ort und es scheint ihn nicht in die Welt zu ziehen. Wir beide sehen seinen Punkt. Allerdings sehen wir neben seinem Punkt auch noch auf einem abgeräumten Teller zwei Pizza Stücke, die ein Kunde nicht vollenden konnte, und eine Schamgrenze die es zu überschreiten galt später, frage ich Diego ob wir nicht diese Pizza Stücke haben könnten und er grinst uns breit an und packt sie in Alufolie ein. Er verschwindet kurz und kommt mit einer großen Papiertüte zurück, welche später von uns genauer inspiziert wird. Voll mit Nahrung, wie zum Beispiel gebratenen Kartoffeln in Soße oder drei Hühnchenschenkel lächeln uns aus der Untiefe der großen Tüte entgegen. An diesem Punkt fand ich die Welt einfach nur zu fies um mitzuspielen und entschied mich kurzer Hand statt Vollzeit-Vegetarier lieber nach dem Motto zu leben, kein Fleisch zu essen, wenn es etwas anderes gibt und nur in den seltensten und schönsten Fällen dann doch mal ein wenig zu haben. In diesem Fall war es nicht wenig Fleisch und mein Verdauungstrakt wird es mich durch sein raffieniertes Feedback-System wissen lassen, aber es erschien mir wert, die sonstigen Werte zu brechen, um dieses Geschenk richtig genießen zu können. Es scheint als läge noch ein ziemlich langer Weg vor mir um wirklich von allen Versuchungen zu entfliehen und tatsächlich pur und überzeugt nach meinen Wunschvorstellungen leben und essen zu können. Aber eines Tages ist man da, ganz bestimmt. In Martin und meinem Fall waren wir noch keines Wegs da… wir waren auf der Spitze eines Berges bei Diego und brauchten noch einen Schlafplatz, also sagten wir in all unserer Wortpracht Dankeschön! und gingen unseres glücklichen Weges. Als wir von der Autobahn abbogen um tiefer ins Umland zu dringen, dauerte es nicht lange bis wir einen Kaktus fanden. Wir hatten schon unzählige gesehen, aber hier war endlich wieder ein Früchtetragender. Wir schnitten sie ab und teilten die Kaktusfrucht. Ob es den Aufwand wert war bleibt unklar, aber immerhin essen... wir haben ja so unglaublich wenig bei uns. Irgendwann lernen wir dass diese goldballgroßen beinahe roten Kugeln noch um weiten nicht reif wären und noch zwei Monate bräuchten, aber da wir den relativen Vergleichswert nicht kennen, können wir uns dementsprechend auch wenig Beschwerden.
Wir laufen die Straße entlang und folgen dem Schild zum Casa Del Coco, eindeutig die Beschreibung meines Zuhauses wo meine Hündin Coco auf mich wartet, aber statt einem schönen Labrador treffen wir auf ein weniger schönes Wildschwein, welches sich interessiert und freundlich vor uns auf der Straße aufbaut und sich immer weiter nähert und dabei nette kleine Grunzer von sich gibt. Wir reden auf es ein und überzeugen es zum Frieden, woraufhin es vorausläuft und uns den Weg deutet, in die Stadt die für uns zum kleinen Horror werden sollte. Wir bedanken uns beim Schwein unwissend über den weiteren Verlauf des Abends. Die Stadt ist nichts weiter außer verlassene Baracken oder noch schlimmer, leer stehende Riesenvillen in denen niemand wohnt der aufmachen könnte wenn man klingelt, so wie wir es taten, aber anscheinen genug Leben in sich hat um komischste Geräusche von sich zu geben. Ein riesen Spaß und eine gute Herz-Rythmus-Übung. Das Schwein begleitete uns noch parallel laufend durch einige leere Vorgärten hinweg und schien sich in dieser Gegend echt wohl zu fühlen. Wir klopften an einer Bruchbude und nie im Traum hätte ich gedacht, dass es Leben in sich hält. Wir wollten eher sicher gehen, dass niemand da wäre um an dem winzigen Platz hinter der Baracke zu campen, aber eine kleine sehr alte Frau guckt verängstigt aus der Tür und erklärt uns, dass sie uns weder helfen noch verstehen kann. Wir haben maximales Verständnis, da wir nun mal zwei riesige, schwer bepackte, fremde Typen sind mit großen, weißen Zähnen und Sonnenbränden auf Martin’s Schultern, und deshalb bedanken wir uns und gehen, nicht ohne eine ordentliche Portion Schock mit uns zu tragen. Ihre Lebenssituation ist für uns eine unvorstellbare Welt; dafür sind unsere weißen Ärsche zu privilegiert und von Armut verschont aufgewachsen. An einer Baustelle folgen wir einer Schotterstraße abwärts und suchen uns eine Nische in der Nähe einer Mauer, um dort vom starken Wind geschützt zu essen.
Im Kommenden wird es wunderschön zu beobachten sein wie der natürliche Fluß von Hoch und Tief, von Gut und Böse auf Reisen vor sich hin fließt. Es ist nie immer alles toll, aber ein Highlight reiht sich an das nächste und das danach gibt es Probleme. Die tiefere Schönheit des Reisens und des Lebens liegt in dem Erkennen dieser Auf- und Abwärtskurve und die niederen Momente für ihre Vergänglichkeit wertzuschätzen, sie dankbar in den Arm zu nehmen, aus ihnen zu lernen und voller Hoffnung auf das kommende Gut zu schauen.
Das Essen war in seiner Menge allen bisherigen Tagen überlegen, aber soll in seinem Geschmack hier nicht näher erläutert werden, schließlich liest es sich schlecht mit grummelnden Magen; dankt mir später. Als sich Martin auf die Suche nach Steinen für das Zelt begibt, um als Heringersatz zu agieren, entsteht die nächste Situation, die ihn und einen älteren Herren beinhaltet und uns für den restlichen Abend mulmig fühlen lässt. Ich höre lediglich die Laute - ein Brüllen aus undefinierbaren Worten und ich höre Martins Ruf und sehe wie er mich nach einer Weile herüber winkt. Es klingt als wäre der fremde Mann sehr aufgeregt über uns und würde wüten. Er steht oben auf der Straße und schaut 20 Meter herunter auf den armen kleinen Martin, der voller Verwirrung über seine unglückliche Situation und die Welt als Ganzes verdattert dem lauscht, was der gute Mann in seinen Lumpen ihm zu erzählen versucht. Er brüllt und brüllt und als ich zu Martin stoße, merke ich dass er nicht zu ihm spricht. Er schaut in die Welt - den Horizont im Visier - und brüllt über uns, nicht zu uns! Man versteht eine Art Englisch, sehr zerkaut und undeutlich und er flucht. Wir setzen uns auf den Boden, mit dem Rücken zu ihm und lauschen mit der neuen Aufgabe ein Krankheitsbild über seinen Zustand zu erstellen, aber nach einer Minute deute ich Martin mir zu folgen und den guten Herrn zu konfrontieren. Dieser steht in der Nähe der früheren Baustelle und mit der Präsenz der dortigen Arbeiter traue ich mich bergauf zu wandern und mit Martin im Gepäck mit ihm zu reden. Dazu kommt es leider nicht, weil der Dude nen Rückzieher macht und als wir die Arbeiter auf ihn ansprechen, meinen sie er wäre verrückt, wobei ihre Gesten das sehr gut verstehen ließen auch ohne die nötige Sprache aus Worten. Sie raten uns die Stadt zu verlassen und auf keinen Fall zu campen. Ich hatte das sowieso abgeschrieben und bin froh nicht hier schlafen zu müssen. Ohne dem Mann des Wahns etwas unterstellen zu wollen, so kam er mir doch vor wie die Sorte Mensch, die einen doch auch mit einem Stein im Schlaf erschlagen würde. Also gut, Martin und ich laufen weiter. Dass wir noch ewig unterwegs sein würden, wussten wir nicht und so kam es, dass wir erst spät abends auf einem Wald der umliegenden Hügel einen Ort fanden um das Zelt aufzuschlagen. Weit weg von der abendlichen Gestalt und näher an dem Ort, den wir seit so vielen Tagen zu erreichen anstreben. Valencia! Wir schlafen schnell und gut, das erste mal in einem Wald, ein Naturphenomen welches so herzlich selten an der Costa Blanca gewesen ist. Unsere gute Erholung wird essenziell für den kommenden Tag sein, schließlich stellen wir einen absolut wahnsinnigen Laufrekord auf. Bis dahin!
Hier geht's auch schon weiter... wir sind schließlich noch nicht ganz da. Aber ab hier machen wir dann ordentliche Sprünge:
Calpe und Denia treiben uns die Beinchen in die Bäuche!