Zwischen Promis und Doktoren (17.05.)

Zwischen Promis und Doktoren (17.05.)

Beim Angeln zuschauen kann ja schon langweilig wirken... aber habt ihr schon mal vom Beim-Angeln-zuschauen gelesen? Hier findet ihr Antwort. Und ihr lernt die zweite Hälfte Alicante's an meiner Seite kennen, trefft den unglaublichen Selva - mein neuer Lieblingsdoktor und wenig später wisst ihr dann auch wer diese Person an meiner Seite für die kommenden drei Wochen ist.

17.05.2025, Ein Fischer und die einsame Orange - Alicante’s Schokoladenseite und das Filmfestival - Mein Lieblingsdoktor Selva und Martin schon so nahe 

Ein spannender Tag mit vielen Menschen und hektischem Durch-die-Straßen-eiern folgt. Schon relativ früh bin ich wach um rechtzeitig das Haus des lieben Jose’s zu verlassen. Wir verabschieden uns nett, allerdings ohne die Hoffnung auf ein Wiedersehen. Aber wenn wir wüssten... Ich laufe jene Strecke aus sieben Kilometern zurück zum City Center, allerdings diesmal an der Promenade entlang, welche sich durch Sandstein tunnelt und Kalkstein (Limestone) als Ausgangsstoff für viele dieser Tunnelkonstrukte beinhaltet. Als ich nach einer Stunde einen Fischer sehe, geselle ich mich zu ihm, um gespannt seinen beiden Angelruten zuzuschauen. Leider ohne Glück, aber weder er noch ich waren dadurch gestört. Wir konnten nicht miteinander sprechen, also bot ich ihm lediglich die Hälfte meiner Orange an und meine Hand zum Abschied. Eine schöne Weise um eine Stunde zu vertreiben, und wie beruhigend doch so eine Angelrute wirkt, erstaunt jedes Mal wieder. Zurück auf dem Weg komme ich in den Bereich Alicante’s der nun, dass es Freitag ist, mit Aktivitäten und Menschen gefüllt ist. Ein Biathlon wird veranstaltet, der Strand ist mit Unmengen an schwitzenden Menschen geflutet und die Stadt glänzt in belebter Schönheit des Tourismus. Ich teile den Weg kurzzeitig mit drei Menschen aus Copenhagen, welche in meine Richtung watscheln und lernte sie auf die Schnelle kennen, bevor sich die Wege wieder trennten. In der Innenstadt angekommen, finde ich mich in unfassbar belebten Straßen voll mit jungen Menschen, was mich verwirrte, denn bisher war die Stadt eher eine ruhige. Als ich zum Kern des Geschehens kam, durfte ich lernen, dass ich auf das Filmfestival der Stadt gestoßen war und jede Berühmtheit der Stadt zu diesen Event erscheinen würde. Was ich keines Wegs erwartete, war das Kommende. Ein junger sehr hübscher Mann afrikanischer Abstammung kam mit einem aus Farben sprühenden Hemd auf mich zu, oder zumindest in meine Richtung. Ich bewunderte sein Aussehen mit dem er stark heraus stach, nur um dann noch etwas ganz anderes zu realisieren. Sein Begleiter hätte ein Bodyguard sein können, wenn er nicht so dünn gewesen wäre. In einem sehr schönen schwarzen Anzug gekleidet, mit Glatze und einem winzigen Detail über sein Hörgerät, was mich dann final etwas realisieren ließ. Dieser Mann und sein wunderschöner Kumpane waren die beiden Personen mit denen ich nicht einmal 10 Stunden zuvor zwei Nächte geteilt hatte. Vor mir standen Jose und sein adoptierter Sohn, der Schauspieler. Mit dem breitesten Grinsen der Welt stand ich leicht Dämlichkeit hinter Jose bis ihn jemand auf mich aufmerksam macht, weil ich zu doof war Worte zu finden. Er dreht sich um und er sieht genauso erstaunt aus wie ich mich fühle. Ich lache und umarme ihn und wir wünschen uns alles Gute, viel Erfolg für das Treffen hier und eine gute Reise. Ein schöner Zufall und ich genieße das Festival von außerhalb während ich meinen früher gekauften Seetang konsumiere und glücklich bin. Der ausgerollte rote Teppich ließ mich wie zu Hause fühlen und niemand passte vermutlich besser in das Geschehen als der Poncho tragende Backpacker mit blonden Haaren, Barfüßigkeit und Camouflage-Rucksack von dem seine Kleidung und Schuhe baumeln.

Mit dem Gefühl das Meiste der rechten Hälfte Alicante’s gesehen zu haben, entschloss ich mich nun für die Linke. Ich fasse zusammen… - Viel Hafen und Industrie, Containerwaren neben schönen Privatboten und einem Yachtclub, lange Gartenwanderungen, gerissene Bänder am Rucksack und der angekündigte Beginn von vielen weiteren Problemen. Eine tote treibende Ratte in Stegnähe, ein angenehmes Mittagschläflein im Baumschatten und ein wundervolles Buch mit dem Namen ‘Natur’. Eine Sammlung verschiedener Schriftsteller über die Definition des Begriffes und die tiefere Verbundenheit, welche in modernen Zeiten doch so gerne vergessen wird. Vertieft in Seiten und gefüllt von Nüssen, vollende ich schliesslich den Kreis und meinen Fußmarsch und bin wieder in der Mitte Alicante’s. In jener hatte ich bisher wunderschöne Springbrunnen in Mitten kleiner Urwälder verpasst und Parks mit riesigen Feigenbäumen, ‘Figus Physalla’, von welchen Wurzelstricke hingen, welche später zu einer Art Ersatzstamm ausarteten (jene erinnerten mich stark an die Bäume auf Hawaii, sogenannte Banyan Bäume).

Banyan/Banian auf Honolulu - Oberflächenwurzeln

 Ich fand einen meiner liebsten Geschäfte bisher, ein absoluter Knüller unter den Ramschläden, und kaufte einen billigen Keramik-Suppenlöffel mit chinesischen Schriftzeichen und einen winzigen goldenen Kelch mit blauen und roten Gravuren, welcher als Geschenk für Martin vorgesehen ist. Knapp daneben schlug mein sporadischer Drang zum Konsum wieder zu, als ich das erste Mal einen richtig schön bestückten China-Laden betrat. Die abgepackte Vielfältigkeit schloss mich in sich und ich kaufte getrocknete Mandarinen, eine eingelegte Art Wurzel mit 30 Zentimeter Länge, Seetang mit Salz, welches mein absoluter Liebling werden sollte, als auch der Grund für tagelange Mundschmerzen durch den Aufwand beim Kauen. Ein anderer Beweis dafür wie gut er gewesen sein muss. Ich wollte unbedingt noch Pilze kaufen, Nüsse hätte es auch gegeben und alle anderen Dinge die Aufbacken bräuchten, warteten auch auf mich, aber vorerst sollte es wohl reichen. Von hier aus wanderte ich zum Hafen, setzte mich auf den Holzsteg und bewunderte Fischkulturen, wobei ich mein Buch zur Hand hatte. An einem unbestimmten Punkt, von Laune getrieben, lief ich den Steg entlang bis zur Center-Bushaltestelle, meine Koordinate 0:0, da meine Reise einst hier began. Dann setzte ich mich auf eine Anhöhe und versuchte mich erneut beim Zeichnen, wie es schon sporadisch der Fall gewesen ist, wenn ich früher auf Reisen war. Leider habe ich Farben noch nicht für mich entdeckt und so werden alle Zeichnungen in Notizbüchern immer mit Kugelschreiber getätigt, oder wie in diesem extra dafür vorgesehenen Skizzenbuch ausschließlich mit Bleistift. Der Ausblick war geboten durch abstrakte Kunst eines drei gesichtigen Frauenkopfes und ihres grotesk ausgestreckten rechten Armes der aus ihrem unförmigen Oberkörper heraus ragte - einem Springbrunnen, eine Hecke mit Palme und Eisenstatuen von Soldaten vor jener, einer alten Gasse, welche durch Torbögen ins Stadtinnere führte und daneben das beeindruckendste Gebäude der Straße, die Casa Carbonell, eine weiße Wand aus verzierter Schönheit. Eifrig hielt ich fest was festzuhalten war, um mich anschließend an Schnellskizzen der vorbei laufenden Passanten zu versuchen. Eine fürchterliche Enttäuschung auf künstlerischer Ebene, aber eine umso bessere Praxis für jemand wie mich, mit wenig Geduld und vielen abstrakten Elementen in der Form des Festhaltens. Umgeben von Palmen senkte sich zu jener Zeit auch langsam die Sonne hinter der langen Mosaikstraße und ihrer unfassbar diversen Blumenpracht aus Licht und Farbe, insgesamt ein sehr warmes Bild der Natur im Kontrast mit dem blau weißen, kalten glänzen der Keramik am Boden.

Der Abend kam mit einer Fülle von zu Tode bestürzter Blicke von dutzenen Passanten zu Ende, die gar nicht fassen konnten, dass jemand es wagen würde, ohne Schuhe auf Mauern zu sitzen und ihre schöne Urlaubsstätte zu zeichnen, anstatt wie ein normaler Mensch einfach seine Fotos zu machen und zu gehen. Ich entschuldigte mich mit breitem Grinsen, was die meisten vermutlich endgültig überzeugte, ich müsste auf Drogen sein, was ich trotz mehrfachen Angeboten von Gras von diversen Dealern nicht bin. Der erste Dealer fragte mich 60 Meter nach der Bushaltestelle, an dem Tag des Ankommens. Drogen sind übrigens Mist. Bald mehr dazu. Und Zucker der Größte von allen. 

Ich ging also weiter und fand mich 20 Meter entfernt an einer Ampel stehend und ihr werdet es nicht glauben... genau vor mir stand Selva!!! Noch kannte ich ihn nicht, aber circa 2 Sekunden später sprach ich den offensichtlich indischen Mann auf Englisch an und bekam eine wundervoll einladende Antwort und hatte somit einen Weggefährten ergattert, welcher mir für die nächsten sieben Stunden, bis ich völlig erschöpft vor dem Hostel Martin’s stand, als solcher dienen sollte. Selva war fantastisch. Ein Inder der im United Kingdom sein Geld als Doktor macht, fand sich nun auf einer Spanienreise um super Privilegierten mit viel Kohle, Englisch beizubringen. Er freute sich schon und war vor wenigen Minuten angekommen. Mit einem Humor der mir sofort gefiel, ließen wir uns auf einer Bank nieder, erzählten uns unsere Geschichten und waren beide gleichermaßen fasziniert von einander. Mit Mitte dreißig hatte der gute Mann soeben sein erstes Haus erobert, eine Sache die eine Freundin für ihn getan hatte, weil er selbst nie daran gedacht hat, obwohl ihm das Geld nicht fehlte hatte. Er lebt jetzt in Canterbury. Seine Lebensweisheiten waren berührend und zu hören wie gerne er die Welt bereisen würde, bestärkte meinen Wunsch die Option umso mehr zu nutzen. Er erzählte mir später alte indische Dichtungen über Liebe oder sowas - es ging um eine Poesie von einer 14 jährigen Göttin(?) geschrieben und um ihre Verärgerung über einen Dude, der ihre Zuneigung gar nicht mitzubekommen schien. So ließ sie sein Gewand, welches zur Blößeverdeckung existierte, klauen und befahl, dass man sie damit fächern sollte... eine tolle Geschichte. Anscheinend nicht für Kinder geeignet, was nicht erklärt wieso ich sie dann anhören musste. Nach diesem interessanten Exkurs lerne ich noch über zwei Orte in Indien, einen in welchem der Buddha zur Erleuchtung fand, der andere welcher zur Berühmtheit wurde, weil sich die Beatles dort für ein paar Monate aufhielten und viele gute, ja wirklich sehr gute Musik machten. Er meint zu wissen wieso. Welch weiser Mann. Wir laufen zu seinem Hostel und verlaufen uns dann in einen Laden um Orangen zu kaufen. Kurz darauf sitzen wir am Meer und denken über die Zukunft der Welt nach und machen uns dann auf den langen Fußmarsch Richtung Hostel Numero 2, der Ort an dem ich anstrebe auf Martin zu treffen, ohne das bisher kommuniziert zu haben. Um Mitternacht hatte Martin geschrieben da zu sein. Er meinte, ob wir uns nicht am Mittag an einem Ort in der Nähe treffen wollen, basierend auf dem Fakt, dass er nicht weiß, dass auch ich im selben Hostel schlafe. Das hatte ich aus Faulheit vertan ihm mitzuteilen und dachte dabei an die schöne Überraschung die für ihn dabei heraus springen könnte. Als es soweit ist, trennen sich Selva’s und meine Wege, aber nicht zu knapp an herzlichen Umarmungen. Es ist ein großer Komfort zu wissen wie möglich es ist, sich immer mal wieder zu sehen und außerdem werden wir über das soziale Netz des Internets weiter Kontakt halten können. Das freut mich. Er lädt mich herzlich ein bei ihm Unterschlupf zu finden, falls ich mich jemals nach Canterbury verirren sollte und das erfreut mich umso mehr. Es ist fantastisch wie schnell man Freunde fürs Leben gewinnen kann und die kommenden Tage werden mir noch viele Lacher bescheren, wenn ich mit ihm mit goldenen Worten der Ironie und Liebe über WhatsApp kommuniziere. Der liebe Selva… 

Ein Austausch mit ihm in nicht allzu ferner Zukunft wird folgendes ansprechen, ich zitiere ohne Kontext:
(Meine Nachricht)
''😍🤭🥰all of that sounds amazing!! I’ll let my door open in Tanzania. If I survive the mosquitos you’re more than welcome to enter!
Have you knowingly chosen the western medicine over the traditional and nature based way of healing the organism and is it just for the money?
Next time I try to integrate my question even more random… I’m unsure if I could succeed.
Have the greatest of all fun on the Camino; I heard that it’s a wonderful place to meet many many great people and if you haven’t found to their god yet, he’s probably chilling somewhere there as well, so you might have a chance to take a selfie or so… good luck dearest Selva🍌''
(He took a while to answer because he was traveling phoneless on the Camino de Santiago and excused himself by saying: )
''A profound question needed a profound answer'' so he waited until he flew back home and then wrote ''So here it goes; Why did I choose western medicine (or mainstream medicine) :
My parents were doctors and it was assumed that I would do the same as well. I stumbled into medicine andy specialty but now there is nothing else that I probably would have loved doing as much.
There is a place for wholistic healing - but most of that has to do with prevention of disease and some milder diseases. But I look after really unwell people who will die without modern medical treatments like dialysis or transplant patients (nature will reject the transplant if we don't use medicines to immunosuppress).
The money is decent but not a great motivator in my line of work. I work lots of unpaid hours and so do my colleagues. It is easy for governments to underpay my specialty because it is life-saving work and they know we will do it even if we are paid less for it.''


Das Hostel trägt den Namen ’Just Capsula’ und wirbt anscheinend mit kleinem Schlafplatz für große Preise, mit dem Deal, dass die Koje aussieht wie eine Astronautenkapsel oder so ähnlich. Von einer Person am Schalter werde ich um ein Uhr nachts eingewiesen und besteige meine im zweiten Stock gelegene Nachtstätte durch eine kleine weiße Schiebetür, die nicht jede Person passieren könnte; es war wirklich wie ein kleiner weißer Plastiksarg. Ich bin unwissend genau über Martin’s Bett zu liegen, da alle Betten kleine abgeschottete Kästchen sind mit LED-Armaturen im Innenraum die auf chinesisch erklären, was welcher Knopf denn so tun würde, wenn man sich dazu herab lässt sie zu drücken… leider übersteigt das mein Level des Vokabulars - nach vier Monaten Mandarin ist man überraschend wenig weit mit der Sprache und die Hanzi-Charaktere gehen bei mir sowieso noch gar nicht.

Die Überraschung Martin zu treffen, scheint bis morgen auf sich warten zu lassen, denn der gute Mann macht keinen Mucks. Ein schöner Samstag war das. Ab jetzt wird es richtig spannend, schließlich soll meine Reise nicht länger ‘einsam’ bleiben, sondern vereint mit der Person eines echten Philosophen, anstrebendem Literaturprofessoren und Gutmenschens, dessen Präsenz ich zwar nur selten kosten durfte, dafür aber immer umso mehr genoss, geteilt werden. Nun werden es wohl drei gemeinsame Wochen in einem Zelt und dergleichen. Ich freue mich!

Just Capsula

18.05.2025, Ein kleiner Martin im großen Alicante - Perfect Strangers - San Juan und das erste Camping-Unterfangen

Man wacht auf im Stockdunklen. Schwach erinnert man sich a den Umstand und die Räumlichkeit, als man beginnt nervös auf der Plastikamatur herum zu tippen in der Hoffnung den Knopf für Licht und Lüftung zu treffen. Kaum ist das geschafft, findet man sich selbst in der 1x1x2 Meter Box aus purem Weiß wieder und ist sich bewusst in der Capsula in Alicante geschlafen zu haben. Der Unterschied zu einem Polsterraum in der Psychiatrie ist aber nicht zu leugnen. Ich öffne die Schiebetür, nicht größer als ich breit bin, und genieße den Ausblick auf die auch außen herum winzige Räumlichkeit. Bevor ich meine Kapsel aber verlasse, höre ich auf eine Eingebung und ein starkes Gefühl. Ein Gähnen löste jenes aus und mit einem Mal war ich mir beinahe sicher, überhalb von Martin zu liegen. Ich beginne ein Lied zu pfeifen, dann die selbe Melodie zu summen und singe es am Ende auch. 

‘We are rising up, like a phoenix from the fire. Brothers and sisters spread your wings and fly higher. We are rising up. We are rising up.’

Kennen tuen Martin und ich es von den uns verbindenden Seminaren, welche im Zusammenhang der Verarbeitung und Vorbereitung für unsere einjährigen Freiwilligendienste ein verbindendes Element darstellen. Auf jenen lernten wir uns zuerst kennen und trafen uns dann ein Jahr später auf ein zweites Treffen. So erhoffte ich eine Reaktion, aber der gähnende Martin war entweder taub oder grade auf der Toilette, zu hören war jedenfalls nichts. Ich machte mich also auf und wollte meine Zähne putzen plus die sonntägliche Kopfrasur dazu hängen, beides konnte ich in der nahe liegenden Damentoilette erledigen, der Ort war nicht mit Absicht bestimmt. Eine schöne Glatze später und ich fühl mich wie frisch aus dem Ei geschlüpft und schaffe es keine fünf Meter weit ohne über einen Martin zu stolpern, der grade aus der schäbigen Herrentoilette schlurft. Eine Sache hatte sich an ihm verändert. So war er einst einer der Gründe, die mich durch Antlitz zum wundern brachten, ob ich denn wirklich so durch und durch heterosexuell wäre. Jetzt, mit seinem neuen Look, einem Zentimeter Buzz-Cut, sah er ähnlich beschissen aus wie ich selbst auch und hatte seinen Charme, der von mittellangen Haaren im Mittelscheitel liegend kam, verloren. Nur sein nettes Gesicht, die strahlenden Augen und das breite Lächeln zeugten noch von einstiger Schönheit. Ich grüßte ihn schroff mit einem ‘Morgen’ in der Hoffnung er würde mich nicht erkennen. Ein Umstand der Unmöglichkeit, obwohl er mich zuletzt mit 30 Zentimeter langem blonden Haar sah, als wir uns mit einer Freundin in Brandenburg trafen, zwei Tage bevor ich aufbrach um im März allein zu Fuß mit einem Zelt durch Norwegen zu wandern und meine Haare an buddhsitsische Mönche zu verlieren, die ich in den Bergen angetroffen hatte. Kurz darauf lagen wir uns also überglücklich in den Armen, so meine schwärmende Auffassung der Erinnerung, und als wir uns fassten, packten wir alles Wichtige und brachen wenig spektakulär auf. Wir lachten uns noch gegenseitig für die Art des Packens unserer Taschen aus. Er hatte fünf Bücher dabei, eins davon schenkt er mich, ein anderes ist 10 Zentimeter dick. Man kann ihm von der Stirn ablesen noch nie mit einem Backpack gereist zu sein. Und so waren Martin und ich endlich im schönen Spanien vereint und die Reise unseres bisherigen Lebens sollte final beginnen. 

Ich dachte mir die ganze Sache so: vier Tage meiner Seits an einem tollen Ort wie Alicante fühlten sich nach genug an, um eine optimale Strecke mit möglichst viel Schönem kreieren zu können und ihm im Schnelldurchgang das Schönste präsentieren zu können. Dementsprechend wurde unser erster Tag direkt ein sehr laufintensiver, als wir uns von Gasse zu Gasse, von Aussicht zu Aussicht und von städtischem Urwald in seichte Hafenwässer verirrten. Meine liebsten Dinge kreuzten den Weg, so zum Beispiel der Nispero-Baum oben auf der Castello de Santa Barbara, von welchem wir im Huckepack ein paar Früchte pflückten. Die Straße der Innenstadt mit riesigen Fliegenpilzen an allen Seiten, der Ramschladen neben dem China-Store, welche beide für ihre Diversität und ihren Vibe besucht wurden. Martin und ich redeten viel, aber nicht alles auf einmal. In einer gesunden Waage aus Stille beim Bewundern und Philosophieren schienen wir die kommenden 2.5 Wochen gut im Gefühl zu haben und passten das Gesprochene an, was nicht heißt, dass nicht viel gequatscht wurde. Mein wundervoller Martin ist übrigens das Spanisch-Ass von uns beiden. Überragende Duolingo Künste und mehrere Online-Kurse verzauberten angesprochene Passanten im Nu und problemlos losten wir uns durch die Stadt ohne die Hilfe einer Karte. Ein schönes Andenken, welches uns vermacht wurde, war ein Zweiertrupp aus Studenten, welche mit einer Photobox aus Pappe nachgestellt, Bilder von Menschen machten und mit einem Drucker sofort produzierten, was aussah wie eine Zeitungsseite mit dem eigenen Bild darauf. Der niedliche junge Mann mit Lockenhaar und netter Brille, überreichte uns das Bild und erwartete kein Geld dafür, sondern wünschte uns nur nett alles Gute. Kurz darauf versuchten wir unser Glück indem wir einen Bankwärmer in Form eines ebenfalls jungen Menschens in der Nähe des schönsten Gartens der Stadt ansprachen. Wir lernten jenen kurz kennen, ein Pole der eine einjährige Weiterbildung hier in Alicante genoss und trotz seines festen Standpunktes genauso verloren in der Welt schien, wie wir beide es waren. Kurz darauf stoßen zwei hübsche Damen im selben Alter dazu, seine Kolleginnen, und sie klauen uns den Gesprächspartner, weil ein Restaurant auf sie wartet. Am Garten selbst sprechen wir mit drei jungen Britinnen. Eine von ihnen scheint ziemlich kaputt von ihrer Nacht zu sein, aber super freundlich mit schönen silber-grauen, tiefliegenden Augen und mit Erdbeeren, die sie mit uns teilt. 

Als wir eine Weile und sehr viel Schweißverlust später auf der Burg standen, ihr merkt wie die Chronologie macht was sie will, da fanden wir uns wieder vor jenen Damen, nur dass deren Hangover Mate grade am Strand schlief. Ihre Freundin begrüßte uns herzhaft und meinte viel an uns gedacht zu haben und es außerordentlich fantastisch zu finden, was wir da so tun. Mit einer Überzeugung, die ich nicht durch Worte und Gesten abwenden konnte, drückte jene uns nun die erste von einigen noch kommenden Geldgaben in die Hand. Völlig verdattert stottern wir unseren Dank während wir versuchen zu verstehen, weshalb hart verdientes Geld an zwei Obdachlose mit noch weniger Plan als Unterkunft, gegeben werden sollte, aber sie schien überzeugt und wir haben ja noch zwei Wochen um dahinter zu kommen... ein schöner Zufall Leute in einer Stadt zweimal zu treffen. 

Als Alicante von links nach rechts durchschritten ist, Kunstkritik an Schmetterlingskopfstatuen verübt wurde und der eine oder andere Obstladen erkundet worden war, nicht ohne dabei völlig abgezogen worden zu sein, eine Aktion bei der weder Kassierer noch wir uns ein breites Grinsen über die Banalität des Versuches verdrücken konnten, fanden wir uns am Ende des Satzes genau wie am Ende der Stadt, am hübschen San Juan Strand. Wir lernten auf der mehrstündigen Wanderschaft ein Lied auswendig, der vermutliche Party-Klassiker in Deutschland was Spanisches angeht. 

‘Vamos a la playa
A mí me gusta bailar
El ritmo de la noche
Sounds of fiesta.’

Überraschend langsam sickert die Lyrics in mein eh schon durch Überfüllung überfordertes Hirn, aber kaum drei Tage später werde auch ich fröhlich mit johlen. Wir kommen an einer Party vorbei und lernen kurz einen angetrunkenen Einheimischen kennen und er erklärt, dass Einheimische ihren Groll auf reiche Ausländer hegen, die hier ihre Ferienwohnungen bauen lassen und so die Mietpreise in den Himmel jagen, aber sonst nichts gegen Besucher hätten. An diesem Punkt, am weißen Strand San Juans, um 11:30pm etwas nördlich von Alicante, entscheiden wir uns das erste Mal für die harte Tour. Statt einer direkten Camping-Aktion hier, wollen wir noch etwa eine Stunde weiter laufen. Dass unsere Rucksäcke überraschend schwer sind und die Gewöhnung daran fehlt, muss nicht gesagt werden. Dass wir durch Magnesiummangel trotz vieler Bananen Krämpfe bekommen, auch nicht. Aber dass unsere Schuhe, welche für die nächste Zeit das größte Problem darstellen werden, uns jetzt schon riesige Schmerzen bereiten, darf wohl doch Erwähnung finden. Das kann daran liegen, dass ich Idiot die erste Hälfte des Tages barfuß gelaufen bin und dann das weiche Fleisch mit dem Schuh penetrierte, aber noch viel schlimmer als dieser Umstand wird später sein, dass mein rechter Schuh keine Sohle besitzt, weil ich sie in Deutschland entfernt hatte, aus geheimen Gründen… nicht einfach weil ich total doof bin. Nein nein nein. Nicht nur einmal finden wir uns stöhnend auf Gehwegen liegen in der Hoffnung von göttlicher Hand gehoben und statt zu laufen, getragen zu  werden. Am Ende sind es doch die Schuhe die uns dort hinbringen, wo wir unsere erste, bewusste, gemeinsame Nacht verbringen. Basierend auf den Faktoren, sollte jene die härteste Nacht für eine ganze Weile bleiben, für was wir höchstens dankbar sein könnten. Isomatte, Kuscheldecke, fehlendes Mückenspray und Steinstrand lassen uns mit keiner Wahl außer einer Nacht mit reichlich wenig, weder Schlaf noch Komfort, zurück. Ich erreiche meine 5 Stunden, dadurch dass ich es mehr gewohnt bin auf Böden und in unangenehmen Situationen zu schlafen, bei Martin bleiben es 2. Aber immerhin. Ein Schlafplatz! Am Meer. Mit schönem Wind und in Spanien. Das ist doch schon mal was. 

Die Polizei sieht campen eigentlich nicht gerne. Wenn sie einen erwischt, kann man mit Bußgeld und Platzverweis rechnen - ein Risiko, welches wir durch bedachte Platzierung und vorbildlicher Hinterlassung des Ortes, als auch Abgeschottetheit, in Kauf nahmen. 

Trinkreserven sind wie es zu erwarten war, das Wichtigste. Zwar packt man sich gerne das ganze Gepäck mit einer Vielzahl von Nahrungsmitteln voll, jene bringen einen aber nicht weit, wenn es um den Wassermangel geht. Wir haben eine angenehme Mitte gefunden, indem wir jeweils zwei Liter an uns haben, und sollte es zu knapp sein, fragen wir in Restaurants und Bars nach einem Nachschub. Ein Akt, den jeder hier gerne zu performen scheint. Zum Glück. 

Sorgen machen wir uns keine. Dafür sind wir zu doof. 
Jemand den ich sehr bewundere, sagte einmal: 'Ich mache mir keine Sorgen, nur Gedanken. Wozu Sorgen?' - Da stand ich dann schön dumm da, weil was soll man darauf noch antworten...
Bevor ich nun anfange emotional über meine darauf folgende Reaktion zu berichten, würde ich den Lesenden empfehlen entweder ihr Handy auszuschalten, den Laptop zuzuklappen und aus dem Haus zu gehen oder, wenn es unbedingt sein muss, auf den nächsten Post zu drücken und mitzuerleben, was denn so als nächstes geschah. Die Wahl liegt bei euch. Ich für meinen Teil geh gleich spazieren... Surprise!

Und hier kurz meine Reaktion: haltet euch fest und nehmt eine Auszeit wenn es euch zu nahe kommt...
🥺 😢 😭 😭 😭 😫 😖 😭 🥺 🥺 ☹️ 😠 😤 🤬 😭 🤬 🫨 🫠 😀
Und tot... Erde uff, Glocke rinn, Erde zu, bimm bimm bimm

Unsere Geschichte geht hier weiter:
Wer Strandbar ruft, muss auch Wildschwein sagen!
Ein paar unwahrscheinlich schöne Städte liegen vor uns; unser erstes, super interessantes Gespräch; viel Strand, Sonne und Klagen, aber auch eine wilde Überraschung und die uns zu den Geistern einer Stadt führt.